Donnerstag, 27. Mai 2010

9.Kapitel Gefühlsoffenbarung

http://www.youtube.com/watch?v=pN60DR5GQpg

Edward POV


Wenn wir mit jemanden wirklich reden wollen,
sollten wir jemanden wählen, den wir nicht kennen.
Denn alle Menschen, welche wir kennen,
leben in unserer Vergangenheit.


Ich hatte in meinem Dasein schon viel Leid und Tod gesehen. Im Laufe des letzten Jahrhunderts hatte ich viele Menschen kennen gelernt, sie dann Jahre später noch einmal getroffen, natürlich trat ich ihnen nicht mehr gegenüber, sonst wäre es wohl oder übel aufgefallen, dass ich kein Jahr gealtert war, und leider hatte ich sie dann auch sterben sehen. Meine erste Erfahrung mit dem Tod machte ich kurz nach meinem siebzehnten Geburtstag. In Chicago brach die Spanische Grippe aus und auch meine Familie fiel dieser zum Opfer.

Erst verstarb mein Vater, ich versprach ihm noch auf meine Mutter aufzupassen und gut für sie zu sorgen, doch diesen Wunsch konnte ich ihm nie erfüllen. Seiner zweiten Bitte konnte ich leider auch nach so langer Zeit nicht Folge leisten. Er wünschte sich immer eine gute und hübsche Frau an meiner Seite mit der ich alt werden konnte. Doch ich hatte in über einhundert Jahren weder eine Frau gefunden, noch war ich alt geworden, ich würde es auch niemals werden. Ja, das Leben war ungerecht, wenn ich mein Dasein denn als solches betiteln konnte.

Kurz nach seinem Tod erkrankte auch ich und konnte mich nicht mehr um meine Mutter kümmern. Sie starb kurze Zeit später im Beisein von Carlisle. Er war damals Arzt in dem Krankenhaus wo wir lagen. Auch meine Mutter hatte noch einen letzten Wunsch. Carlisle musste ihr versprechen alles in seiner Macht stehende zu versuchen um mich zu retten. Genau das tat er auch, indem er mich zu seinesgleichen machte. Das war meine stärkste Erinnerung an den Tod, denn im Grunde war ich es… tot. Mein Körper veränderte sich bis auf die Augenfarbe nicht mehr, alle menschlichen Funktionen waren von diesem Zeitpunkt an eingefroren.

Alle Eindrücke, Erlebnisse und Erinnerung vor meiner Verwandlung verschwammen im Laufe der Jahre oder ich vergaß sie gänzlich. Ich stumpfte ab, der Tod traf mich nicht mehr so sehr wie er es noch tat als ich ein Mensch war. Doch genau deswegen schockte mich Bellas Erinnerung so sehr. Ich konnte wieder Bruchstücke ihrer Gedanken mit verfolgen. Ich hatte dafür absolut keine Erklärung. Warum konnte ich Bella mal hören und mal wieder nicht? Aber dieses Rätsel erschien mir erst einmal unwichtig. Der Inhalt ihrer Gedanken traf mich hart und mitten in mein totes Herz. Nie hatte ich in einem Menschen so ein Leid, so eine tiefe Traurigkeit gesehen. Bella musste einen schrecklichen Verlust hinnehmen. Ich selbst hatte in meinem früheren Leben keine Geschwister. Selbst wenn jetzt einer von meiner Familie gehen würde, so wäre es nicht für immer. Ich konnte davon ausgehen sie wieder zu sehen. Aber Bella… Bella hatte ihre Schwester für immer verloren und diese Qual hätte ich mir nicht vorstellen können, wenn sie ihre Gedanken nicht für mich zugänglich gemacht hätte.

*

Bella stand in der Mitte der Bühne, den Blick gesenkt und bis in den letzten Muskel angespannt. Nachdem sie ihr Lied vorstellte, nickte sie im meine Richtung und deutete so an, dass ich anfangen sollte. Ich begann das Intro und hoffte innerlich, dass Bella bereit war zu singen. Das Stück ging über in die erste Strophe, doch wie ich schon vermutete, war sie alles andere als bereit. Ich hörte sofort auf zu spielen. Bella stand stocksteif da, hatte die Lippen fest aufeinander gepresst und zitterte kaum merklich. Ich wollte sie nicht so sehen, so hilflos und von allen angestarrt. Wieder verspürte ich den Drang sie zu beschützen und stand kurzentschlossen auf und ging zu ihr. Meine Hand wanderte wie von selbst zu ihrer Schulter. Sie zuckte leicht zusammen und sah mich überrascht an. Ich bat sie leise mitzukommen und führte sie zum Flügel. Sanft drückte ich sie auf den Hocker und ließ mich neben ihr nieder. Ihr Körper war starr wie ein Brett, alle Muskel zum Zerreißen angespannt.

„Leg deine Hände auf die Tasten.“, wies ich sie ruhig an. Sie folgte meiner Anweisung automatisch, fast wie in Trance. Ich begann wieder zu spielen und hoffte, dass meine Nähe sie vielleicht etwas beruhigen würde. Auch Bella spielte nun mit und fing an zu singen. Ihre Stimme hallte melodisch durch den Saal. Nichts, außer den schlagenden Herzen und ihrer Stimme war zu hören. Sie klang so sehnsüchtig. Ich war völlig von ihr gefangen, als sie mich plötzlich mit Bildern aus ihrer Vergangenheit überschüttete. Ich sah ihre Gedanken wie einen Film, aber immer nur kleine Ausschnitte. Sie saß in einem dunklen Raum über ein Bett gebeugt. Doch diese Person im Bett konnte ich nie erkennen. Bella sang vom Tod ihrer Schwester, soviel bekam ich mit.

Es berührte mich unheimlich und ich hatte wieder das starke Gefühl für Bella da sein zu müssen. Sie brauchte jemanden mit dem sie reden konnte, jemanden dem sie sich anvertrauen konnte und derjenige wollte ich sein. Ich wusste, dass Menschen eine zarte Seele hatten, sie waren verletzlicher und emotionaler als wir Vampire. Doch Bella schien diesen Verlust immer noch zurückdrängen zu können. Wie lange noch, vermochte ich nicht zu sagen. Ich hoffte sie würde sich bald öffnen, denn er zerfraß sie von innen. Sie durfte sich nicht vor der Welt verschließen und in ihrer Trauer versinken. Ich wollte ihr unbedingt helfen, sie sollte wieder eine heile Seele haben. Noch wusste ich nicht wie ich ihr dabei helfen sollte, aber das würde sich hoffentlich mit der Zeit zeigen.

Bellas Gedanken brachen immer wieder ab und ich sah gar nichts mehr. Es kam mir vor als hörte ich Radio und fuhr immer wieder durch Tunnel, in denen ich keinen Empfang hatte. Als ich plötzlich wieder etwas wahrnahm, hörte ich nur noch die letzten Worte.

‘Ich werde immer an deiner Seite sein.’

Das ging mir wirklich unter die Haut und würde ich eine Gänsehaut bekommen können, hätte ich jetzt eine. Ich musste mich verdammt konzentrieren um mich nicht zu verspielen, normalerweise konnte ich Klavier spielen und noch an tausend andere Dinge denken, ohne auch nur eine Note zu verhauen.

Bella hörte auf zu spielen und auch ich ließ meine Finger nun ruhen. Ich sah vorsichtig zu ihr hinüber, in diesem Moment senkte sie ihren Kopf und legte ihn gegen meine Schulter. Ich erschauderte kurz unter dieser Berührung, legte dann aber zusätzlich noch meinen Arm um sie und zog sie dicht an meine Seite. Um uns herum herrschte zunächst völlige Stille. Ich hörte viele Herzen unregelmäßig schlagen, die meisten hatten die Luft angehalten und ließen sie nun laut entweichen. Ein leises ‚Wow’ kam aus Richtung der Tür. Mr. Mclachlan schien genauso sprachlos wie alle anderen unserer Klassenkameraden. Die Atmosphäre in diesem Saal war überschwemmt von den Emotionen und Gefühlen, die durch Bellas Lied hervorgerufen waren. Selbst die Gedanken der anderen waren fast still, alle starrten vor sich hin und dachten einfach an… gar nichts.

Bella in meinen Armen schluchzte immer wieder leise. Ihr zierlicher Körper vibrierte an meiner Brust. Ich hatte sie schon einmal so zerbrechlich und verletzbar gesehen. Am Montag auf der Lichtung, auch da hatte sie mir ihre Gedanken geöffnet und sich so an mich geschmiegt. Nach ein paar Sekunden hörte ich Mr. Mclachlans Schritte auf uns zu kommen.
„Können Sie sie nach Hause bringen, Mr. Cullen?“, fragte er mich leise.
„Natürlich.“, nickte ich zur Antwort und erhob mich mit Bella vom Klavierhocker. Bella wurde weiterhin von ihren Schluchzern geschüttelt, sie schien jetzt alle angestauten Tränen herauszulassen. Kaum hatten wir den Saal verlassen und die Tür geschlossen, hob ich sie auch schon in meine Arme. Sie wehrte sich nicht dagegen, schlang ihre dünnen Arme um meinen Hals und vergrub ihr Gesicht in meinem Nacken.

Ihr Hals lag dadurch völlig frei vor meinem Gesicht. Nicht gut. Gar nicht gut. Ich biss angestrengt die Zähne zusammen und versuchte nicht an ihren köstlichen Geruch zu denken. Sie war so nah. Zu nah. Ich musste mich sehr zusammenreißen, sie war vollkommen ungeschützt und wehrlos, das konnte und durfte ich nicht ausnutzen. Nicht, dass ich sie jemals beißen könnte, aber die Versuchung war da und sie war groß. Mit angehaltenem Atem schaffte ich sie zu meinem Auto und setzte sie behutsam auf dem Beifahrersitz ab.
„Warte hier, ich hol nur schnell unsere Taschen, okay?“, bat ich sie eindringlich. Sie sollte nicht auf dumme Ideen kommen und weglaufen. Schnell machte ich mich auf den Weg ins Schulhaus und schnappte mir ihren und meinen Rucksack aus dem Musiksaal. In weniger als einer Minute war ich wieder am Wagen und Bella hatte sich zum Glück kaum einen Millimeter bewegt.

Sie saß immer noch zusammengesunken, die Ellenbogen auf die Knie gestützt und das Gesicht in den Handflächen begraben, auf dem Beifahrersitz. Schnell verstaute ich unsere Rucksäcke auf der Rückbank und ließ mich auf den Fahrersitz gleiten. Meine Hand wanderte wie von selbst zu ihr hinüber und blieb auf ihrem Knie liegen.
„Bella, beruhige dich. Es wird alles gut.“, versuchte ich sie zu besänftigen.
Ruckartig flog ihr Kopf nach oben und ihre geröteten Augen funkelten mich fassungslos an.
„Gut? Was soll bitte gut werden?“, fuhr sie mich an. „Ich hab mich total zum Affen gemacht da drin.“, wetterte sie weiter und deutete mit dem Finger auf die Schule. „Ich hätte es wissen müssen. Ich hätte einfach etwas Normales singen sollen. Ich hätte…“
Bevor sie sich noch weiter mit Selbstvorwürfen fertig machen konnte, hielt ich ihr mit meiner anderen Hand den Mund einfach zu, sodass sie den letzten angefangenen Satz nur noch nuschelte.
„Bella, jetzt beruhige dich doch bitte. Warum denkst du, dass du dich blamiert hast? Keiner hat gelacht, keiner hat nur daran gedacht…“ Abrupt stoppte ich meinen Satz und realisierte was ich gesagt hatte. Ich ließ mir alle möglichen Erklärungen einfallen, doch keine schien plausibel genug, ich konnte nur hoffen, dass Bella nichts mitbekommen hatte. Doch weit gefehlt.
„Wie meinst du das?“, hakte sie nach.
„Wie meine ich was?“, stellte ich mich dumm.
„Ach komm schon, Edward. Du weißt was ich meine. Woher willst du wissen woran die anderen denken?“ Erwartungsvoll sahen mich ihre geröteten Augen an.

Verdammt, verdammt, verdammt. Wie konnte ich mich nur so verplappern. Na toll, super Cullen und wie komm ich da jetzt wieder raus?
Die Wahrheit? Ja klar, dann könnte ich sie auch gleich beißen.
Lügen? Und was sollte ich ihr sagen? Gott, ich war am Arsch.
„Ja? Ich höre.“

Mist, mist, mist.
„Ähm… na ja, nicht direkt denken, man sah es ihnen eher an. Keiner schien sich lustig machen zu wollen. Verstehst du was ich meine?“
Doch statt einer Antwort nickte sie nur und sah dann aus dem Fenster. Okay… das nahm sie mir wohl nicht so ganz ab und ich war auch zum ersten Mal wirklich ratlos. Sonst half mir meine Gabe zu den Menschen durchzudringen, doch bei Bella war mir das nicht möglich.

Unsicher strich ich mir durch die Haare und startete dann den Motor, doch wohin? Nach Hause? Zu ihr oder zu mir? Bei sich wäre sie alleine und ich wusste nicht ob Bella mich weiterhin bei sich haben wollte. Allerdings wollte ich sie auch nicht alleine lassen. Die Lichtung. Ich konnte da immer entspannen, vor allem wenn die tausend Gedanken um mich herum zu viel wurden. Doch dann fiel mir Bellas Reaktion auf der Lichtung wieder ein und ich wollte sie nicht noch weiter runterziehen. Sie hatte heute schon genug durchmachen müssen. Plötzlich fiel mir der perfekte Ort ein. Es regnete nicht und sah auch nicht danach aus. Dennoch war es bewölkt genug, damit ich mich draußen zeigen konnte. Also lenkte ich den Wagen auf die Straße und gab Gas.

Ich fuhr in Richtung La Push, das Indianerreservat der Quileute, in der Nähe von Forks. Ich wollte sie an den Strand bringen, die Seeluft und das Rauschen der Wellen waren wirklich entspannend.

Normalerweise durfte meine Familie das Reservat auf Grund eines Vertrages, zwischen uns und den Vorfahren der Quileute nicht betreten, doch ein kleiner Teil des Strandes gehörte nicht zum Gebiet des Stammes und genau da würde ich Bella hinbringen. Nicht viele gingen zu diesem Teil des Strandes, es war auch nicht der schönste, aber für uns völlig ausreichend.

*

Als wir am Ziel ankamen, hielt ich der verwirrten Bella die Tür auf und meine Hand entgegen. Sie ergriff sie zu meiner Freude und ließ sich von mir aus dem Wagen helfen.
„Warum sind wir hier?“, fragte sie mit erstickter Stimme.
„Zum Entspannen, beruhigen und vielleicht zum Reden.“ Vorsichtig schaute ich ihr in die dunklen Augen um ihre Reaktion abzuschätzen. Überraschend nickte sie einfach nur und ging voraus Richtung Wasser. Schnell verschloss ich das Auto und folgte ihr.

Kurz vor dem Wasser lag ein langer, abgebrochener Baumstamm auf dem sie sich nieder ließ. Ohne sie aus den Augen zu lassen, schlenderte ich auf sie zu und setzte mich leise neben sie. Bella schien tief in ihren Gedanken gefangen zu sein. Ich ließ sie in Ruhe mit ihren Gedanken, ich wusste aus Erfahrung, dass es nichts brachte jemanden zu drängen, wenn er es nicht wollte.

Nach ein paar Minuten völligen Schweigens, seufzte Bella schwer, senkte den Blick und starrte den Sand zu ihren Füßen an. Ihre Hände hatte sie in ihren Schoß verkrampft zusammen gefaltet. Sie zitterte wieder, doch diesmal schien sie zu frieren. Ich streifte mir schnell meinen Pullover ab und hielt ihn ihr entgegen. Bella hob langsam ihren Kopf und streckte lächelnd die Hand aus. Ein Schmunzeln breitete sich über ihr ganzes Gesicht aus, als sie sich das Kleidungsstück näher anschaute. Es war ein Teampullover aus der letzten Saison mit meiner Lieblingsstartnummer und meinem Namen drauf. Schnell zog sie ihn über und ich glaubte zu merken wie sie einmal tief den Duft inhalierte.
„Danke.“, hauchte sie immer noch lächelnd.
„Gern, ich will ja nicht, dass du krank wirst.“
Sie antwortete nichts mehr und die Stille breitete sich wieder über uns aus. Sie war nicht unangenehm, ganz im Gegenteil, endlich hatte ich mal Gesellschaft ohne von irgendwelchen Gedanken gestört zu werden. Bella war wirklich das faszinierendste Geschöpf, das mir je begegnet war. Sie verzauberte mich nicht nur mit dem Geheimnis ihrer Gedanken, sie war einfach perfekt, außen und innen. Ich kannte sie vielleicht erst eine Woche, doch es kam mir vor, als würde sie schon ewig in mein Leben gehören. Ich wollte sie nicht wieder gehen lassen. In meinem Inneren krampfte sich alles zusammen, als ich bloß daran dachte, sie nie wieder zu sehen, zu hören, zu riechen oder zu spüren. Der Duft und die Wärme, die von ihr ausging war einfach nur betören und anziehend. Ich konnte nicht mehr ohne sie.

Das war es, sie bestimmte mein Leben jetzt schon und sie würde es auch immer tun. Jetzt und hier konnte ich das Gefühl beschreiben, welches meine Gedanken in ihrer Nähe vernebelten.

Ich war verliebt, ich hatte mich in Bella Swan verliebt. Nein, das stimmte so eigentlich auch nicht.
Ich liebte sie. Sie als Mensch und nicht ihr Blut oder ihren Körper. Ich liebte sie, mit ihrer Vollkommenheit und der reinen Seele.

„Ich möchte gerne drüber reden.“, kam es plötzlich leise von Bella und riss mich somit aus meinen Gedanken.
Ich drehte meinen Kopf um sie anzusehen und ihr so zu zeigen, dass sie meine ganze Aufmerksamkeit hatte.
„Ich war vierzehn, Tess zwei Jahre jünger, als sie…“
Sie räusperte sich, als ihre Stimme immer dünner wurde und fuhr dann leise fort.
„Sie war gerade mal zwölf als sie mir genommen wurde. Drei Jahre vorher erfuhren wir von ihrer Krankheit. Sie hatte Leukämie.“ Bella machte eine kurze Pause um sich wieder zu sammeln. Ich schwieg.

„Sie brauchte dringend eine Knochenmarktransplantation, doch wir fanden keinen geeigneten Spender. Unsere Eltern kamen komischerweise nicht in Frage, wir hatten fest damit gerechnet, dass einer von den beiden ihr Spender sein könnte. Dann wollte ich mich testen lassen, doch meine Eltern verweigerten mir das. Sie sagten ich sei noch viel zu jung für solche Strapazen. Zwei Jahre hat es gedauert bis ich meine Eltern überreden konnte mich wenigstens testen zu lassen. Zwei Jahre in denen meine Schwester leiden musste. Endlich wurde ich dann getestet und mein Knochenmark war kompatibel mit ihrem. Ich war überglücklich und teilte diese Freunde mit meiner kleinen Schwester. Sie war in den letzten zwei Jahren unglaublich stark gewesen, doch auch ihre Kraft neigte sich dem Ende.“

Bellas Geschichte war überwältigend. Es muss fürchterlich gewesen sein. Diese zwei Jahre, die fast verschwendet waren, nur weil sie sich nicht testen lassen durfte. Das hätte meiner Meinung nach nicht sein müssen, doch ich sagte nichts dazu. Bella holte ein paar Mal tief Luft und setzte dann mit erstickter Stimme wieder zum Sprechen an.

„Na ja, mein Knochenmark hat gepasst und ich bettelte solange bis die Transplantation durchgeführt wurde. Zunächst ging es Tess richtig schlecht, doch mit der Zeit baute sie wieder ihr Immunsystem auf und wurde aus dem Krankenhaus entlassen. Doch keine neun Monate später lag sie wieder im Sterben. Es war alles völlig nutzlos gewesen. Diesen Schmerz der Transplantation hätte sie nicht ertragen sollen, es war umsonst.“ Zum Ende hin war Bellas Stimme nur noch ein Flüstern, sodass sogar ich Schwierigkeiten hatte sie zu verstehen. Als sie endete, legte ich meinen Arm um sie und zog sie fest an meine Seite.

„Es war nichts umsonst, Bella. Du hast ihr dadurch noch ein Jahr mit ihrer Familie… mit dir geschenkt. Ich denke, genau dafür wird sie dir immer dankbar sein.“, versuchte ich zu erklären.

Sie sollte sich nicht die Schuld geben, Ganz im Gegenteil, sie hatte ihr noch ein weiteres Jahr geschenkt, mehr Zeit mit ihrer großen Schwester.
„Danke.“, schniefte sie und lehnte sich an mich. Ich strich ihr langsam den Arm auf und ab und versuchte sie zu beruhigen, sie hatte in ihrer Rede wieder angefangen zu schluchzen und versuchte nun die Tränen wegzublinzeln.
Ich löste mich nach einem Moment von ihr und drehte mich zu ihr. Sie hatte den Kopf gesenkt, doch ich wollte ihre wundervollen, schokoladenfarbenen Augen sehen. Dazu legte ich einen Finger unter ihr Kinn und hob dieses leicht an. Als meine Augen ihre fanden, schlich sich ein Lächeln auf mein Gesicht. Auch ihre dunklen Iriden begannen zu leuchten, dann löste sich eine Träne aus ihrem Augenwinkel und suchte ihren Weg über ihre Wange. Langsam hob sich meine andere Hand, um die Träne wegzuwischen. Meine Hand blieb an ihrer Wange liegen und eine unglaubliche Spannung baute sich zwischen uns auf.

*


Bella Gesicht kamen meinem Stück für Stück näher. Meine Augen huschten immer wieder über ihr Gesicht. Ihre wunderschönen Augen, die gerade, kleine Nase, bis hin zu ihren schönen, geschwungenen, vollen Lippen. Diese waren einen Spalt geöffnete und trieben mich nahe an meine Beherrschung. Ihr Blick blieb auch an meinen Lippen hängen.

Mit meiner Hand die noch auf ihrer Wange lag, zog ich sie sanft zu mir. Ich konnte einfach nicht anders, ich konnte ihr, nachdem ich mir meiner Gefühle sicher war, nicht mehr widerstehen. Sie ließ meine Berührungen zu und war nur noch Millimeter von mir entfernt. Ihr heißer Atem traf mich und ihr unwiderstehlicher Duft kroch mir in die Nase und überwältigte mich fast. Doch bevor ich weiter über das nachdenken konnte was gleich passieren würde, geschah es auch schon. Ihre warmen, weichen Lippen schmiegten sich an meine, keiner von uns bewegte sich. Langsam blinzelnd löste sie sich von mir und atmete schwer. Jetzt erst realisierte ich was das für Auswirkungen haben könnte. Ich zog mich von ihr zurück und versuchte mich zu erklären.

„Bella… ich… es tut mir Leid. Ich… ich wollte das jetzt nicht ausnutzen. Ich hätte…“
Ich hatte jedoch keine Chance weiterzureden, denn sie stoppte mich indem sie mir einen Finger auf die Lippen legte und mich anlächelte. Verwundert schaute ich sie an. Dann passierte etwas, was ich am wenigsten erwartet hatte. Bella zog mich wieder zu sich heran und küsste mich wieder. Langsam bewegten sich unsere Lippen miteinander, als hätten sie nie etwas anderes getan. Ein unglaublich warmes Gefühl breitete sich in meinem Inneren aus. Behutsam legte ich meine Hände wieder an ihre Wangen und hielt sie dicht bei mir. Ihre zierlichen Hände verschränkte sie in meinem Nacken und strichen mir hin und wieder durch die Haare. Ich musste mich zusammenreißen um mir zu schnurren, es fühlte sich einfach zu gut an. Auch Bella schien nicht abgeneigt, ihr Herz machte immer wieder kleine Hüpfer und schlug umso schneller weiter.

Nach einigen Sekunden musste ich mich leider von ihr und ihren verführerischen Lippen lösen, da sie Luft benötigte. Ich lehnte meine Stirn leicht gegen ihre und ließ sie nach Luft schnappen. Ihr keuchender Atem traf mich immer wieder und das Verlangen brannte weiter in mir. Am liebsten hätte ich sie sofort wieder an mich gezogen, aber ich wusste auch, dass ich ihr Raum geben musste, um das zu verarbeiten. Ich hätte diese Wendung, nach diesem Gespräch nie erwartet. Darüber mussten wir auf jeden Fall noch reden, aber das konnte warten.

Bella löste sich langsam von mir, senkte den Blick und fummelte gedankenverloren am Ärmel meines Pullovers.
„Bella?“, versuchte ich sie behutsam anzusprechen. Ihr Kopf ruckte nach oben. Schüchtern lächelte sie mich an. Das war das schönste Lächeln was ich je gesehen hatte, ich wollte sie immer so sehen.
„Willst du nach Hause?“, fragte ich unbeholfen. Ich wusste absolut nicht was ich machen sollte, ich fühlte mich wie ein siebzehnjähriger Teenager, der ich im Grunde ja auch war, bei seinem ersten Date. Dabei war es ja noch nicht einmal ein Date. Welch Ironie.

Bella nickte nur auf meine Frage und stand umständlich auf. Ich erhob mich nach ihr und führte sie zurück zum Auto. Auf dem Weg nach Hause sprach keiner ein Wort. Bella schien wieder tief in Gedanken versunken zu sein. Ich blickte immer wieder unauffällig zu ihr hinüber. Ihr Blick war jedoch auf die vorbeirauschenden Bäume des Waldes gerichtet.

„Können wir vielleicht ins Krankenhaus fahren?“, fragte Bella plötzlich schüchtern von der Beifahrerseite. Erschrocken drehte ich mich zu ihr. Ging es ihr nicht gut, vielleicht war der ganze Tag einfach zu viel für sie. Doch bevor ich irgendetwas erwidern konnte, sprach sie schon weiter.
„Keine Angst, ich möchte nur diesen dämlichen Verband loswerden, so langsam stört er mich und ich meine mir gehts ja auch schon wieder gut. Ich möchte nur endlich wieder mein Pferd alleine reiten können, verstehst du?“
Nein, eigentlich verstand ich nicht. Ihre Gesundheit und Sicherheit ging mir über alles. Der Verband sollte erst morgen ab, soweit ich wusste, also würde er auch noch bis morgen drum bleiben. Das Reiten konnte wirklich noch etwas warten.
„Bella, der Verband soll doch erst morgen runter, kannst du nicht bitte noch diesen einen Tag warten? Ich denke es ist sicherer so. Die Ärzte hatten schon ihre Gründe, dass das Teil so lange drum bleiben soll.“, erwiderte ich.
„Bitte Edward. Es juckt und scheuert, davon wird das auch nicht besser, außerdem tut es schon gar nicht mehr weh.“, bettelte sie. Na super, jetzt fehlt nur noch der Dackelblick und die Schmolllippe. Ich sah sie eindringlich an, als ich an einer Ampel halten musste. Und dann packte sie die vernichtenden Waffen aus. Hätte ich doch bloß nichts gesagt.
„Nein, Bella. Ich fahre dich da nicht hin. Wir fahren jetzt nach Hause und machen uns noch einen schönen Nachmittag wenn du möchtest. Und bitte hör auf so zu gucken, das zieht nicht.“ Oh, Gott und wie das zog. Wenn sie so weiter machte, würde ich schwach werden. Aber ich rief mir immer wieder ihre Gesundheit ins Gedächtnis.
„Na schön, dann fahr ich halt selber.“, maulte sie auf einmal. Na das nenn ich mal Stimmungsschwankungen, aber ich wollte keinen Streit, also gab ich widerwillig nach.
„Okay, ich mach dir einen Vorschlag. Ich bring dich zu mir und wir gucken ob Carlisle da ist. Er ist Arzt im Krankenhaus und kann das entscheiden. Was sagst du dazu?“
Bella seufzte.
„Na gut, einverstanden. Aber ich will diesen dummen Verband runter haben.“, beharrte sie.

Eine Weile später lenkte ich meinen Volvo auf den Hof in die Garage, stieg aus und ging um das Auto herum um Bella aus dem Wagen zu helfen.
Schnell brachte ich sie ins Haus, die Treppen hinauf und klopfte an Carlisles Bürotür. Ich hatte seine Gedanken schon vom Auto aus gehört und war somit sicher, dass er auch da war.

„Herein.“, rief er aus dem Raum. Ich öffnete die Tür und hielt sie für Bella auf, deutete ihr mit einem Kopfnicken an einzutreten.
*Wie immer ein Gentleman, nicht wahr Edward?*, dachte er und lächelte mir entgegen.
„Setzt euch Kinder.“ Er zeigte auf die beiden Ledersessel vor seinem Schreibtisch. Bella und ich ließen uns in die Sessel fallen, auch Carlisle lehnte sich entspannt in seinem Stuhl zurück.
„Also, was kann ich für euch tun?“; fragte er.
„Ähm, Dr. Cullen, ich wollte Sie fragen, ob Sie sich meine Schulter mal ansehen könnten, ich bin es leid diesen Verband zu tragen. Es tut schon gar nicht mehr weh.“, berichtete Bella etwas schüchtern.
„Bella, erstmal sag doch bitte Carlisle, ich fühl mich sonst so alt…“
Ich musste mir mühsam das Lachen verkneifen. Das sagte der Richtige, er mit seinen dreihundertfünfzig Jahren.
„… und dann müsstest du mir bitte noch verraten, wie lange der Verband eigentlich drum bleiben sollte.“, forderte Carlisle sie auf und verfiel sofort in seinen Arztmodus.
„Bis morgen.“, antwortete ich an Bellas Stelle, woraufhin ich mir einen bösen Blick von ihr einhandelte.
„Nun wenn das so ist, solltest du ihn auch wirklich solange drum lassen und morgen kommst du einfach zu mir ins Krankenhaus.“
Bella ließ sich enttäuscht in den Stuhl sinken, sah Carlisle dann aber bittend an. Diesen Blick kannte ich irgendwie.
„Bitte Carlisle, kannst du dir das nicht erst einmal ansehen und dann dein Urteil fällen?“
*Das Mädchen gefällt mir, sie zeigt sehr viel Entschlossenheit.*
Da hatte er allerdings Recht, sie war regelrecht stur. Doch zu meiner Überraschung gab Carlisle nach, stand auf und griff nach seiner Arzttasche.

Bella hatte sich währenddessen meinen Pullover ausgezogen und war dabei ihre Korsage und Bluse aufzuknöpfen. Ihr war anscheinend gar nichts peinlich. Ich kannte nicht viele Mädchen, okay eigentlich kannte ich keines, welches sich vor einem fast Fremden bis auf die Unterwäsche auszog.
‚Ihr habt euch, vor nicht einmal einer halben Stunde, geküsst.’, rief ich mir ins Gedächtnis. Na ja, aber das war noch lange kein Grund sie jetzt schon fast nackt zu sehen. Schnell erhob ich mich und ging zur Tür. Über meine Schulter sagte ich noch zu Bella, dass ich im Stall auf sie warten würde. Ich hörte Carlisle nur noch leise lachen und verschloss dann die Tür hinter mir.

Nachdem ich mich umgezogen hatte, beschäftigte ich mich mit Boxen ausmisten und wartete bis Bella kam. Ich war gerade in der neunten Box als ich Bellas schnellen Herzschlag vernahm. Ich verlangsamte mein Tempo und mistete in menschlicher Geschwindigkeit weiter.
„Hey.“, rief Bella fröhlich von der Boxentür aus. Lächeln drehte ich mich um und musterte sie eingehend.
„Du hast ihn also überzeugt?“, fragte ich.
„Jap, aber es tut wirklich nicht mehr weh.“, versicherte sie mir. Na dann sollte ich ihr vielleicht glauben.
„Und was hast du jetzt vor?“, fragte sie weiter.
„Ich wollte gleich ne Runde auf den Springplatz. Magst du zugucken, oder hast du noch was anderes vor?“
„Ja ich hab da andere Pläne.“ Enttäuscht, sie nicht mehr in meiner Nähe zu haben, mistete ich weiter.
„Ich mach jetzt Eclipse fertig und leiste dir Gesellschaft.“, platze sie heraus. Schnell fuhr ich zu ihr herum.
„Du willst reiten?“
„Na sicher, wenn ich diesen Verband schon los bin, muss ich das auch ausnutzen.“, meinte sie leichthin.
„Du bist wirklich das sturste Mädchen, was mir je begegnet ist.“
„Na immerhin bleibe ich so in Erinnerung.“, meinte sie locker und lief zur Sattelkammer. Ich blieb sprachlos zurück. Sie hatte vollkommen Recht, sie würde mir immer in Erinnerung bleiben.

Plötzlich lief Bella wieder an mir vorbei Richtung Tor und rief mir nur noch zu, dass sie sich schnell umziehen wollte. Kopfschüttelnd verließ ich die Box und räumte schnell alle Geräte weg um mich dann ausgiebig mit Twilight zu beschäftigen. Er war in letzter Zeit viel zu kurz gekommen. Als er noch ein Fohlen war, hatte ich Stunden bei ihm verbracht und ihn so langsam und dauerhaft an mich gewöhnt. Keines unserer Pferde hatte Angst vor uns, die meisten waren bei uns geboren und aufgewachsen. Die Pferde, dir später zu uns kamen, hatten noch ihren normalen Fluchtinstinkt und dementsprechend Angst vor uns.
Dann war es meistens Jaspers Job sie an uns zu gewöhnen, er hielt sich immer in ihrer Nähe auf und beruhigte sie mit seiner Gabe. Wir tranken zwar Tierblut, aber keiner von uns würde jemals auf die Idee kommen, einen unserer Schützlinge als Nahrung anzusehen.

Ich war nun seit circa zwanzig Minuten mit Striegel und Bürsten beschäftigt, als Bella in voller Reitmontur wieder in den Stall kam. Über ihrer Schulter hing eine nagelneue Hackamoretrense und unter ihrem linken Arme hatte sie eine graukarierte Schabracke geklemmt. Lächelnd lief sie an mir vorbei, legte die Sachen vor Eclipses Box ab und wanderte weiter zur Sattelkammer. Ich hörte es aus dem Raum rascheln und poltern. Was veranstaltete sie denn da? Gerade als ich nachschauen wollte, rollte sie ihren Sattelbock aus der Kammer. Darauf befanden sich alle möglichen Putzutensilien, Gamaschen, ein Lederhalfter mit Strick und obenauf der schwarze Springsattel. Sie machte also wirklich Ernst und das gefiel mir überhaupt nicht. Was ist wenn ihre Schulter doch noch nicht ganz verheilt war und sie sich durch einen möglichen Sturz noch mehr verletzte. Ich wollte gerade noch mal auf sie einreden, als ich ihr entschlossen grinsendes Gesicht sah, also hielt ich die Klappe, ich könnte genauso gut gegen eine Mauer reden und selbst die wäre nachgiebiger.

Ein paar Minuten später war ich fertig mit meiner Putzaktion, warf alle Bürsten in den Putzkasten und holte meine Ausrüstung aus der Sattelkammer. Twilight blickte mir mit gespitzten Ohren entgegen, in freudiger Erwartungen schnaubte er ein paar Mal und warf seinen Kopf hin und her. Das war so seine Macke, wodurch sich das Trensen immer etwas schwieriger gestaltete. Doch da musste ich durch. Ich hoffte, dass sich das mit der Zeit noch geben würde.

Bella war mittlerweile auch fertig mit Putzen und griff nach ihrem Sattel. Mit Schwung hievte sie ihn über die große Stute, ließ ihn aber sanft über den Widerrist in die Sattellage gleiten. Sie ließ den Gurt nach unten und griff unter ihrem Bauch danach. Auch ich machte mit jetzt ans Satteln. Das klappe noch alles ohne Probleme, doch nun kam der kritische Teil. Trensen und Halfter ließ sich Twilight nur äußerst ungern über die Ohren ziehen. Noch vor zwei Jahren war das eine richtig aufwändige Prozedur. Er hatte sich während eines Koppelgangs hinter dem Ohren verletzt und nachdem die Wunde verheilt war, ließ er sich nicht mehr an den Ohren berühren, geschweige denn etwas überziehen. Er war vollkommen traumatisiert. Mit viel Geduld konnten wir ihm wieder soweit an Berührungen gewöhnen, dass wir nicht mehr alles auseinander nehmen mussten, um es ihm überzuziehen.

Als ich fertig war, schaute ich hinüber in die Nachbarbox und sah, dass Bella bereits mit Kappe auf dem Kopf in der Box stand und auf mich wartete.
„Na fertig?“, fragte sie mich. Ich nickte nur und führte Twilight aus der Box. Wir gingen mit unseren Pferden auf den großen Platz, wo schon einige leichte Sprünge aufgebaut waren. Ich ließ Bella den Vortritt. Zügig ging sie in die Mitte der Bahn, lies ihre Steigbügel herunter und kontrollierte noch einmal, ob alle Riemen auch da waren wo sie hingehörten. Ich war in der Zeit auch in der Mitte angekommen und bereitete meinen Wallach vor.

Wir beiden ließen unsere Pferde am langen Zügel durch die Bahn laufen, damit sie sich schon etwas dehnten und die Hindernisse betrachten konnten. Eclipse war sichtlich nervös, was entweder an der neuen Umgebung lag, oder schlichtweg an mir, dem Raubtier.

Bella redete ununterbrochen leise auf ihre Stute ein und beschäftigte sie mit Gewichts- und Schenkelhilfen, um das Tier abzulenken. Sie hatte ihren Reitstil wirklich auf dieses Pferd spezialisiert und angepasst. Es sah so aus, als würde nur sie dort in den Sattel passen, sie waren nicht Pferd und Reiter. Sie waren ein Team aus gleichberechtigten Mitgliedern. Es war wirklich faszinierend zu sehen, wie die beiden schon im Schritt miteinander harmonierten. Das Band zwischen ihnen konnte man gar nicht übersehen. Auch Bellas Gesichtsausdruck zeigte pure Leidenschaft, Stolz, Zufriedenheit und Liebe zu ihrem Partner.

*

Nach dem Training lauerte uns Alice im Stall auf und hüpfte aufgeregt hin und her.
*Gleich geh ich shoppen, gleich geh ich shoppen, gleich geh ich shoppen.*
Und was machte sie dann noch hier, es gab nichts und niemanden, der sie davon abhalten konnte.
„Was machst du dann noch hier, wenn du shoppen gehen willst?“, fragte ich sie so schnell, dass Bella es unmöglich verstehen konnte.
*Ich will Bella mitnehmen.*
„Na dann viel Spaß.“, kicherte ich in mich hinein. Mal sehen ob sie Bella überreden konnte.

Bella hatte ihre Stute schon in die Box gebracht, als Alice zu ihr hinüberschlenderte.
„Du Bella?“, fragte sie süß.
„Was gibt es, Alice?“
„Hast du Lust mit mir shoppen zu gehen? Ich wollte nachher los und mir ein Outfit für die Party kaufen. Für dich können wir dann ja auch gleich was aussuchen. Ohh, hast du überhaupt schon gefragt?“, plapperte Alice ohne Punkt und Komma. Bella kicherte nur leise und schüttelte über Alice Übermut den Kopf. In aller Seelenruhe befreite sie ihr Pferd von der Ausrüstung und machte noch keine Anstalten zu antworten. Alice hingegen war alles andere als ruhig, sie tänzelte von einem Bein aufs andere und schaute Bella erwartungsvoll an.

Alice ging jetzt schon fast an die Decke, als Bella endlich antwortete.
„Alice beruhige dich, ich komm ja mit.“
„Jaaa, super. Wir können dann gleich…“
„Stopp, Alice. Erst mache ich mein Pferd fertig, dann will ich noch nach Hause und mich umziehen und dann können wir gerne los.“, unterbrach sie Alice gnadenlos. Ihr Mund blieb vor Erstaunen leicht geöffnet, was mir nur ein Grinsen entlockte.
„Na gut, ich warte hier auf dich.“, murrte Alice und verschwand aus dem Stall. Ich sah ihr noch grinsend hinterher, doch als ich mich zu Bella umdrehte, wischte mir ihr hinterlistiges Grinsen, meines aus dem Gesicht. Was hatte sie nun vor?
„Du kommst mit.“, beantwortete sie meine unausgesprochene Frage. Was? Wollte sie mich umbringen? Wer ging schon freiwillig mit Alice shoppen?
„Bella.“, versuchte ich sie zu beschwichtigen, doch ihr Grinsen blieb an Ort und Stelle. Ich sah sie flehend an.
„Tu mir das bitte nicht an, alles andere, aber nicht shoppen und schon gar nicht mit meiner Schwester, du weißt nicht auf was du dich einlässt, aber ich und das will ich vermeiden.“
Doch es half nichts, je mehr ich versuchte mich da raus zu holen, desto mehr veränderte sich Bellas Gesichtsausdruck. Das Grinsen wich einem Schmollmund und die verschmitzt funkelnden Augen wurden zu großen, tiefbraunen Hundeaugen. So einen Bettelblick kannte ich zuvor nur von der kleinen Elfe und das was Bella mir hier bot, war noch um einiges schlimmer. Ich konnte ihr einfach nicht widerstehen. Ich war ihr jetzt schon vollkommen verfallen.

Also ergab ich mich schließlich mit einem Seufzen und willigte ein. Wir versorgten beide noch schnell unsere Pferde und Bella machte sich dann auf den Weg nach Hause um sich umzuziehen. Ich ging auch ins Haus um meinen Reitklamotten gegen normale Kleidung zu tauschen. Ich stand gerade frisch geduscht und nur in Jeans vor meinem Schrank, als Alice fröhlich in mein Zimmer getänzelt kam.
„Ohh Edward, ich freu mich so, dass du mitkommst. Wir finden bestimmt auch ein paar tolle Sachen für dich.“, rief sie vergnügt.
„Du willst doch nur, dass ich eure Tüten trage.“, gab ich nüchtern zurück. Gespielt entsetzt schaute Alice mich an.
„Wie kommst du bloß darauf Bruderherz?“, grinste sie nun und verschwand so schnell wie sie gekommen war.

Kurze Zeit später hörte ich Bellas vertrauten Herzschlag und gleich darauf das Klingeln an der Tür.
„Ohh Bella, schön dich mal wieder zu sehen. Wir konnten uns noch gar nicht so richtig unterhalten.“, hörte ich Esme sagen. Bella war also schon in guten Händen. Ich lief schnell die Treppe nach unten direkt in die Küche zu den beiden Frauen und blieb im Türrahmen lehnend stehen. Bella saß an der Theke, die Arme auf die Tischplatte gestützt und schaute Esme beim Backen zu.
„Machst du die Pferdekekse immer selber, Esme?“, fragte Bella meine Mutter.
„Ja, Liebes. So kann ich sicherstellen, dass den Pferden nur das beste vom Besten zu fressen gegeben wird.“, erwiderte sie lächelnd und zwinkerte kurz in meine Richtung, als Zeichen, dass sie mich bemerkt hatte. Ich stieß mich vom Türrahmen ab und schlenderte gemächlich zu den beiden und stützte mich mit den Ellenbogen auf der Theke ab.
„Hallo die Damen.“
„Hallo Edward, mein Lieber. Tut ihr mir einen Gefallen, wenn ihr in die Stadt fahrt und bringt mir etwas mit?“, fragte Esme.
„Sicher, um was geht es?“
„Ich brauch ein paar Stoffe für eure neue Teamkleidung…“, sagte sie. „Ach und Bella, ich müsste deine Maße noch nehmen, wenn es dir Recht ist, Liebes.“, fügte sie an Bella gewandt hinzu.
„Natürlich, kein Problem, Esme.“, lächelte Bella schüchtern.

Zehn Minuten später saßen wir in meinem Volvo, die Bedingung dafür, dass ich mit musste und rasten über den Highway Richtung Port Angeles. Alice hatte es sich auf dem Rücksitz bequem gemacht und Bella saß neben mir auf dem Beifahrersitz und schon wieder umnebelte mich ihr blumiger, süßer Duft. Meine Hände verkrampften sich um das Lenkrad und ich stellte unwillkürlich das Atmen ein.
Alice besorgter Blick traf mich durch den Rückspiegel.
*Alles klar, Ed?*, fragte sie mich in Gedanken. Ich nickte nur leicht und lenkte meine voll Aufmerksamkeit wieder auf die Straße, doch nichts konnte mich wirklich von dem unglaublichen Engel neben mir ablenken.

Kaum hatte ich den Motor abgestellt, schoss Alice auch schon auf die Straße, gerade noch so, dass es langsam genug war um menschlich zu wirken.
*Oh Gott ich LIEBE Shopping.*, trällerte sie die ganze Zeit in ihren Gedanken, dann kam eine lange Liste der Läden in die sie unbedingt musste, das war auch der Zeitpunkt, bei dem ich mich aus ihren Gedanken ausklinkte.
„Nun kommt schon ihr Schlafmützen. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.“
Nicht? Es war doch erst Nachmittag. Und wer ist hier ne Schlafmütze? Ich garantiert nicht.
Bella warf mir einen verwirrten Blick zu, doch ich grinste nur und zusammen schlenderten wir hinter Alice her.

Erschöpft ließ sich Bella in einem Schuhladen auf eine der Bänke fallen und streckte die Füße aus. Sie sah wirklich fertig aus und das obwohl ich vor ca. einer Stunde auf eine Pause für Bella bestanden hatte, damit sie wenigstens etwas trank. Nun saß sie hier mit geschlossen Augen und vor sich ausgestreckten Beinen und atmete tief ein und aus. Um uns herum standen Unmengen von Tüten und Taschen. Alice konnte sich wieder einmal nicht zusammenreißen und ließ ihre Kreditkarte glühen. Von den 15 Tüten gehörten Bella zwei, mir eine und in einer waren Esmes Stoffe. Der Rest war Alice in ihrem Kaufrausch in die Hände gefallen. Nun wuselte die kleine Elfe seit knapp einer halben Stunde durch das Schuhgeschäft und betrachte wirklich JEDEN Schuh ganz akribisch. Ab und zu rief sie Bella zu sich und nur unter Protest und Gestöhne erhob sich Bella und ging Alice hinterher. Jedes mal kam sie genervter wieder, verdrehte die Augen und ließ sich wieder auf die kleine Bank fallen. Ich beobachtete das Spiel eine Weile, bis Bella wirklich fast vor dem Explodieren stand, als Alice sie wieder zu sich zitierte. Bella wollte schon aufstehen und zu ihr stapfen, da griff ich nach ihrem Handgelenk. Ein kleiner Stromschlag durchzuckte meine Hand und ließ mir wohlige Schauer den Rücken hinunterlaufen. Ich zog Bella einfach mit nach draußen.
„Warte bitte kurz, bin gleich wieder da.“ Mit diesen Worten ging ich zurück ins Geschäft, holte die Tüten, schnappte mir dann Bella und ging zum Auto.

Verdutzt blieb Bella stehen, als ich aufschloss und die Tüten im Kofferraum und auf der Rückbank verstaute und ihr die Beifahrertür aufhielt.
„Edward, was hast du vor?“, fragte sie verwirrt.
„Nach was sieht es denn aus? Wir fahren nach Hause.“, sagte ich, als wäre es selbstverständlich. Alice hatte sicherlich schon gesehen, dass wir zurückfuhren und würde laufen. Ich war schon auf ihre Standpauke gespannt, wenn sie nach Hause kam, doch das würde ich überleben, Bella ging hier für mich eindeutig vor.
Nachdem ich Bella erklärt hatte, dass ich alles mit Alice abgesprochen hätte und sie sich ein Taxi nehmen würde, stieg sie ein und fragte nicht weiter nach.

Eine dreiviertel Stunde später setzte ich Bella vor ihrem Haus ab und fuhr dann selber nach Hause. Wie erwartet stand Alice schon mit einem beleidigten Gesicht auf der Veranda und erdolchte mich mit ihrem Blick. Ihre Gedanken waren auch nicht netter. Doch ich schüttelte nur den Kopf und lief, ohne sie zu groß zu beachten, an ihr vorbei ins Haus. Als ich in meinem Zimmer ankam wurde ich schon wieder von Alice erwartet, sie stand mit, vor der Brust verschränkten Armen, mitten im Raum und giftete mich in Gedanken wieder an.
„Mein Gott Alice, reg dich ab. Bella hatte nun mal keine Lust mehr und bei dir war einfach kein Ende abzusehen.“, rechtfertigte ich mich genervt. Doch bevor Alice antworten konnte, klingelte mein Handy. Ohne auf das Display zu schauen nahm ich hab.
„Hallo?“, meldete ich mich.
„Hi, ähm… Hallo Edward, hier ist Bella.“, sagte die lieblichste Stimme der Welt.
„Bella, hey.“
„Edward… können wir reden?“

Edward und Bella Strand
 
Edward und Bella beim Reiten

Mittwoch, 26. Mai 2010

8. Kapitel Der HImmel ist ein Ort in deiner Nähe


Edward POV

Wenn ich einen Weg zum Himmel fände
und Erinnerungen Stufen wären,
würden ich hinaufsteigen und Dich zurückholen.

~*~*~

Wenn Du bei Nacht zum Himmel emporschaust,
dann werde ich auf dem schönsten
der vielen, vielen Sterne sitzen
und zu Dir herabwinken.
Ich werde Dir Trost und Licht senden,
damit Du mich in Deiner Welt,
sehen kannst und nicht vergisst.
Traurig sollst Du aber nicht mehr sein,
denn schau nur:
Ich habe jetzt einen eigenen Stern!


BPOV


Nachdem ich den Hof der Cullens verlassen hatte, schlenderte ich gemächlich die Sandstraße zu unserer Villa entlang. Zu Hause erwartete mich nichts und niemand, also konnte ich mir Zeit lassen.
Auf der kleinen Erhöhung, am Rand der Koppel, blieb ich kurz stehen und beobachtete die Stuten mit ihren Fohlen. Fröhlich hüpften sie um ihre Mütter herum, welche sorglos grasend in der Sonne standen. Nachdem der Nachmittag weitgehend bewölkt war, brachen nun die wärmenden Strahlen durch die Wolkendecke. Genießerisch streckte ich meine Nase der Sonne entgegen. Ich mochte warme Orte lieber als dieses regnerische und kalte Klima. Ich hatte mich in Phoenix oder L’Aquila in Italien mehr als wohl gefühlt. Doch hier musste man die wenigen warmen Tage wirklich auskosten.


Ich senkte meinen Blick wieder und sah zu den Pferden. Die Fohlen tobten ausgelassen über die Weide, sie hatten keine Sorgen, Ängste oder schlechte Erfahrungen. Sie lebten in den Tag hinein ohne jegliche Verpflichtungen. Das wünschte ich mir auch immer öfter, ich wollte raus aus meinem Leben, nichts hielt mich, abgesehen von meinem Pferd. Ich hatte das verloren, was mir alles bedeutete.
Aber diese jungen Fohlen schienen bei den Cullens ein gutes Leben zu haben. Genau das was sie verdienten.


Ein Pferd war nur so gut wie sein Besitzer, es war der Spiegel des Menschen dem es gehörte. So wie du ein Pferd behandelst, behandelt es auch dich. Das sagte sie immer zu mir. Alles in meinem Leben erinnerte mich an sie und immer hallten ihre Weisheiten durch meinen Kopf. Auch wenn sie jünger war als ich, war sie doch um so manches reifer. Nachdem sie ging, musste ich schlagartig erwachsen werden, mich alleine dem harten und manchmal unfairen Leben stellen. Sie würde nicht wollen, dass ich aufgab. Sie war immer stark, also musste ich es jetzt auch sein.

Ich merkte wie sich langsam eine Träne den Weg über meine Wange bahnte. Ich versuchte weitere Tränen wegzublinzeln und schüttelte die Gedanken an die Vergangenheit ab.
Langsam setzte ich meinen Weg nach Hause fort. Dort angekommen, führte mich mein Weg zunächst in mein Bad, wo ich mich meiner schmutzigen Klamotten entledigte und dann unter den warmen Strahl der Dusche stieg. Erschöpft lehnte ich mich an die kalten Fliesen und ließ den Wasserstrahl auf meinen angespannten Körper prasseln.


Nach einer kleinen Ewigkeit stieg ich wieder aus der Duschkabine und zog mir meinen flauschigen Bademantel über. Meine Haare wickelte ich mit einem großen Handtusch zu einem Turban.
Da meine Eltern heute Abend nicht zu Hause waren, brauchte ich auch kein Abendessen vorbereiten. Also schnappte ich mir nur einen Joghurt aus dem Kühlschrank und kuschelte mich dann unter eine Decke auf meine Couch. Neben mir auf dem Tisch fuhr ich meinen Laptop hoch. Mit einer sanftklingenden Melodie erschien mein Hintergrundbild und der Laptop war bereit. Schnell hatte ich die Verbindung zum Internet aufgebaut und loggte mich in das Forum ein. Ich verschaffte mir schnell einen groben Überblick und entdeckte dann einen Gruppenchat im den Alice, Edward, dieser eklige Mike, Angela und Jessica online waren. Ich gesellte mich in die Runde und wartete erstmal was sie hier so schrieben.


Bella buio ist online.


Mikey: Komm schon Cullen, wer ist eure Neue?
Jessy: Ja Eddy sei nicht so. Spätestens in vier Wochen kommt es sowieso raus.
ElfeAlice: Na dann könnt ihr sicher auch noch so lange warten. *g*
E20A06C01: NENN MICH VERDAMMT NOCHMAL NICHT EDDY!!!
Jessy: Warum denn nicht, das passt zu dir. *schmoll*
E20A06C01: Ganz sicher nicht. Lass das!!!
Mikey: Ich steh auf die Neue.


Boah, mir kam fast die Galle hoch. Es war klar, dass er nur mich meinen konnte, denn wenn noch eine Neue an die Schule gekommen wäre, hätte das ganz schnell die Runde gemacht.


ElfeAlice: …
Angel(a): …
E20A06C01: …
Jessy: … Das passt jetzt nicht wirklich, du Dummkopf.
Mikey: Was denn, so ist es nun mal, sie ist heiß.


Ok das reichte. Es wurde Zeit für mich da etwas mitzumischen.


Bella buio: Ich hoffe ich hab da auch noch mitzureden?!
ElfeAlice: hihi *g*
Angel(a): Na dann erzähl deiner Angebeteten mal was du für sie empfindest.
Mikey: *blush*
E20A06C01: Das war alles? Man(n) bist du schlecht.
Mikey: Ach und du kannst das besser Cullen? Ich hab dich auch noch nie mit einem Mädchen zusammen gesehen.
ElfeAlice: Nicht? Dann mach mal die Augen auf. Hallo erstmal Bella. :)
Bella buio: Hi alle zusammen.
Jessy: Hallo...
E20A06C01: Hey Bellissima, bist du also heil nach Hause gekommen?!
Mikey: Sie hat mir ‚Hallo’ gesagt. =D
Angela: Hallöchen Bella.


Ich musste unwillkürlich lächeln bei Edwards Kosenamen. Doch leider verschwand es schnell wieder bei Mikes Äußerung.


Bella buio: @Edward: Ja, wie man sieht hab ich es geschafft, danke der Nachfrage. ^^ Es war übrigens ein sehr schöner Nachmittag, das könnte man schnell wiederholen.
Bella buio: Ja Mike, stell dir vor ich hab ‚Hallo’ gesagt, das nennt man Höflichkeit, kennst du das?
E20A06C01: Das freut mich. :) @Mike: Mensch, schlagfertig ist deine Auserwählte auch noch. ^^ @Bella: Sorry! Lass dich von dem nicht anmachen.


Ich doch nicht. Ich wollte mich lieber von wem anders anmachen lassen. Prompt wurde ich bei diesem Gedanken knallrot. Na toll, was stellte Edward nur mit mir an?


Mikey: Ich mach sie gar nicht an. Bella, mach ich dich an?
Bella buio: Neeeeein kein Stück. Okay ernsthaft, du machst mich kein Stück an…
Angel(a): hihihihi, der war gut Bella.
ElfeAlice: Ja nicht schlecht. *g* Aber ob er den geschnallt hat?
Mikey: Seht ihr ich mache sie nicht an. Sag ich doch!


Oh Gott, ich fiel vor Lachen fast von der Couch, konnte er wirklich so blond sein? Also wenn Dummheit wehtat, dann würde er nur schreiend durch die Gegend laufen, da war ich mir sicher.


ElfeAlice: Er hats wirklich nicht begriffen.
E20A06C01: Armer, armer, dummer Junge.
Bella buio: Kann man nichts machen.
Mikey: Okay Leute, ich bin dann mal weg. Bye
Jessy: Gute Nacht. Ich geh auch.
Angel(a): Ich werd jetzt auch ins Bett. Gute Nacht Leute. Bis morgen.
ElfeAlice: Bye Bye.
E20A06C01: Bis dann.


Mikey ist offline.
Angel(a) ist offline.
Jessy ist offline.


ElfeAlice: Was für ein Abgang.
Bella buio: Er hatte wohl nichts mehr dazu zu sagen. *g*
ElfeAlice: Anscheinend nicht.
Bella buio: Warum sind die eigentlich so scharf darauf zu erfahren, wer bei euch im Team reitet?
E20A06C01: So sind die Menschen. Vor allem Jessica und Mike, die sind mit Angela und Lauren ein Team und wollen uns immer eins auswischen.
ElfeAlice: Haben sie nur nie geschafft. *g* Und auch wenn ich nicht mehr dabei bin, mit dir Bella in unserem Team… da kann der Rest schon mal einpacken.
Bella buio: Nein bloß keinen Druck, Alice, danke. -.-’
E20A06C01: Ach rede dir nicht falsches ein Bella, du reitest fantastisch, selbst mit Handicap und im Schlabberstil.
Bella buio: Wag es ja nicht den Westernstil als Schlabberreiten zu betiteln. Es gibt nichts entspannenderes als gemütlich durchs Gelände zu schlendern.
E20A06C01: Sorry, war nicht so gemeint.
Bella buio: Schon okay. Ich verzeihe dir, wenn du mich morgen wieder mit zur Schule nimmst. Ich kann ja schlecht fahren mit der Schulter… bitte.
E20A06C01: Na sicher, ich werde da sein morgen früh. Ich tue alles damit du mir verzeihst. ;)
ElfeAlice: Gott, das wird mir hier zu schmalzig. Ich bin off. Bis morgen Bella.
Bella buio: Bye Alice. Bis morgen.


ElfeAlice ist offline.


Bella buio: Da waren es nur noch zwei.
E20A06C01: Sieht ganz so aus. Und hast du dich schon entschieden, ob du zu der Party kommst?


Mist, das hatte ich total vergessen. Ich musste vorher meine Eltern fragen. Und da war schon das nächste Problem, denn meine Eltern traf man nur sehr selten an. Meine Mutter hatte ich seit Montagmorgen nicht mehr gesehen und mein Dad hatte mich auch gestern Abend nur kurz angemault bevor ich in mein Zimmer flüchtete.


Bella buio: Nicht wirklich. Ich bin eigentlich nicht so der Partytyp, andererseits wäre es eine gute Gelegenheit die Leute der Stadt auch außerhalb der Schule kennenzulernen. Aber ich muss sowieso erst meine Eltern fragen.
E20A06C01: Also, ich würde mich freuen wenn du kommen würdest. Ich mag deine Gesellschaft. Warum fragst du deine Eltern nicht gleich?


Ich lächelte schon wieder meinen Laptop an. Gut, dass ich keine WebCam hatte und mich keiner sehen konnte. Das wäre peinlich, ich kannte ihn doch überhaupt nicht richtig und fühlte mich so… so anders in seiner Gegenwart. Ich fühlte mich wohl bei ihm.


Bella buio: Danke, ich mag deine Gesellschaft auch. :) Meine Eltern sich leider im Moment nicht da, aber wenn ich sie sehe, werde ich sofort fragen.


Na ja, das ‚leider’ hätte ich mir eigentlich klemmen können, ich gab schon seit den letzten drei Jahren nicht mehr viel auf die Anwesenheit meiner Eltern. Es war mir im Grunde egal ob sie da waren oder nicht. Andersherum schien es ja auch nicht anders zu sein. Seufzend kuschelte ich mich tiefer in die Couch. Ich war schon wieder kurz davor mich in meinen Gedanken zu verlieren, als Edward antwortete.


E20A06C01: Deine Eltern sind zu dieser Uhrzeit noch nicht zu Hause? Entschuldige wenn ich frage, aber was machen die denn den ganzen Tag?
Bella buio: Nein, aber das ist nichts Neues. Ich sehe sie manchmal tagelang nicht. Ich bin es gewohnt für mich alleine zu sorgen. Und natürlich kannst du fragen. Meine Mutter ist Immobilienmaklerin in Seattle und Umgebung. Das heißt sie bleibt manchmal die ganze Woche in einem Hotel in Seattle und kommt nur am Wochenende nach Hause. Mein Vater ist Polizeichef hier in Forks und leitet neben bei noch die Dienststelle in Port Angeles.
E20A06C01: Mhh…Dein Dad ist also der neue Chief. Na gut Bella, du solltest langsam auch ins Bett, es ist spät. Ach und denk dran, wenn du nicht alleine sein willst, komm einfach vorbei. Hier ist wirklich immer was los.
Bella buio: Ja, du hast Recht, es ist spät. Und danke, ich werde darauf zurückkommen. Ich wünsche dir eine gute Nacht. Bis morgen.
E20A06C01: Die wünsche ich dir auch, Bella. Schlaf schön. Ich warte morgen früh auf dich. Bis dann. Bye.
Bella buio: Bye.


Ich loggte mich aus dem Chat aus und fuhrt den Laptop runter. Umständlich krabbelte ich von der Couch, holte aus meinem Kleiderzimmer meine Schlafpants und ein gemütliches Tank Top und schlüpfte unter die Decke in mein großes, bequemes Bett. Gleich nachdem mein Kopf das Kissen berührte, fand ich mich auch schon im Land der Träume wieder.


Der Morgen kam wie immer viel zu früh. Müde schlich ich in mein Badezimmer und erledigte meine Katzenwäsche. Danach war ich immer noch nicht viel wacher, also schlüpfte ich schnell in meine Klamotten, die aus einer weißen Bluse mit Corsage, einem schwarzen Rock und einer schwarzen Strumpfhose bestanden.
Ich rieb mir müde die Augen und ging dann die Treppe nach unten in die Küche, um mir einen möglichst starken Kaffee zu machen. Wie an fast jedem Morgen fand ich auch heute das Haus wieder leer vor. Seufzend setzte ich mich mit einer Schale Müsli und der Tasse Kaffee an den Esstisch.


Meine Tasse war gerade halbleer, da hörte ich es an der Tür klingeln. Ich blickte auf die Uhr über der Spüle und stutzte. Edward konnte es noch nicht sein, ich war ziemlich schnell heute Morgen und es war noch zu früh um zur Schule zu fahren. Als ich die Tür öffnete, stand tatsächlich Edward davor. Überrascht schaute ich zu ihm hoch. Ich konnte ihn nur anstarren, völlig geplättet, zum einen von seinem unerwarteten Auftauchen, andererseits von seiner überwältigenden Schönheit. Seine kräftige Statur, das bronzefarbene Haar, das in alle Himmelsrichtungen abstand, dieses unglaubliche Lächeln. Doch das Beste hob ich mir bis zum Schluss auf. Es waren diese mysteriös goldbraun schimmernden Augen. Sie waren einfach entwaffnend. Ich konnte nichts dagegen tun, ich versank hoffnungslos in ihnen.


Ich wusste nicht wie lange ich Edward einfach nur anstarrte, doch irgendwann hörte ich ihn leise lachen und kam zurück in die Realität.
„Entschuldige Bella, ich bin etwas früh, aber ich wollte verhindern, dass du wieder so spät loskommst.“, sagte er.
„Ehm…“ Kopfschüttelnd öffnete ich die Tür etwas weiter um ihn rein zu lassen. Ich musste schnell meine Gedanken wieder in die richtigen Bahnen lenken, bevor er noch merkte wie sehr er mich verwirrte.
„Möchtest du noch etwas reinkommen? Einen Kaffee trinken vielleicht?“; fragte ich.
„Nein danke, ich möchte nichts, ich hab schon gefrühstückt.“ Er ging an mir vorbei ins Foyer.
„Es macht übrigens nichts, dass du so früh bist, ich bin ja wach und etwas Gesellschaft am Morgen hab ich selten.“, meinte ich.


Wir setzen uns zusammen in die Küche an die Theke. Ich trank meinen Kaffee weiter und sah Edward immer wieder an. Ich konnte meinen Blick kaum von ihm wenden, er hatte etwas äußerst Anziehendes. Nach einem etwas längeren Schweigen ergriff er das Wort um dieses zu brechen.
„Na was hältst du von deinem Verehrer?“
„Du meinst Mike?“ Er nickte nur.
„Nichts.“
„Nichts?“, hakte er nach.
„Ja, nichts. Er ist mir irgendwie unsympathisch.“
„Kann ich verstehen.“, murmelte Edward vor sich hin.
„Was meinst du damit?“, fragte ich neugierig.
„Er ist penetrant, zu sehr von sich überzeugt, anhänglich, schleimig. Willst du noch mehr hören?“
„Nein, das reicht. Du kennst ihn ziemlich gut oder?“ Irgendwoher musste diese Einstellung ja kommen, dachte ich mir.
„Na ja, was heißt kennen? Er ist in der gleichen Jahrgangsstufe und Forks ist ein kleines Klatschnest. Wenn erst einmal irgendwo ein Gerücht in die Welt gesetzt wird, weiß es spätestens am nächsten Tag die ganze Stadt und um Mike gab es einiges.“, meinte er trocken.
Meine Augen wurden immer größer. Na super, wo waren wir hier bloß gelandet? Ich war es nicht gewohnt in einer Stadt mit weniger als 60000 Einwohnern zu leben und Forks zählte gerade mal knapp über 3000.
„Oh.“ Mehr brachte ich nicht heraus. Auch Edward nickte nur.


Mein Blick glitt wieder zur Uhr und schlagartig wurde ich wieder nervös. Es wurde langsam Zeit zur Schule zu fahren, doch mein mulmiges Gefühl fesselte mich schon fast an den Hocker unter mir. Meine Hände krampften sich um meine leere Kaffeetasse und mein Herz fing an zu rasen. Ich musste mich sehr konzentrieren um nicht zu hyperventilieren. Gestern war ich ja schon nervös, wegen diesem Vorsingen, aber heute war es unerträglich. Ich musste mich selber eigentlich gar nicht so sehr quälen, ich könnte irgendein unbedeutendes Lied vorstellen, aber ich hatte mich dazu entschlossen, mich dieser Sache endlich zu stellen. Vielleicht sollte ich auch endlich darüber reden, allerdings wusste ich nicht mit wem. Automatisch blickte ich zu Edward, welcher mich aufmerksam beobachtete. Ich sah in seine Augen, sie strahlte eine Offenheit aus, die mich vergessen ließ, dass ich ihn erst ein paar Tage kannte.


„Alles in Ordnung?“, fragte Edward und sah mich eindringlich an.
„Ja, ich bin nur etwas nervös.“ Fast automatisch senkte sich mein Blick.
Edward streckte seine Hand nach mir aus, legte einen seiner langen Finger unter mein Kinn und hob es mit sanftem Druck, sodass ich ihn ansehen musste. Sein Finger war eiskalt, war es so kalt draußen? Doch bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, war sein Finger auch schon wieder weg.
„Warum solltest du nervös sein? Ich hoffe nicht, dass ich es bin der dich nervös macht.“ Seine Stimme war weich und leise.
„Ähm… nein, nicht du.“ Doch, eigentlich schon, ein bisschen. „Ich hab Angst vor dem Vorsingen heute Nachmittag.“, gab ich leise zu.
Edward zauberte sein schiefes Lächeln auf sein Gesicht.
„Was ist daran so witzig?“, schnappte ich zurück. Er schüttelte nur den Kopf.
„Nichts. Entschuldige bitte. Warum bist du deswegen so zerstreut? Es ist doch nur ein kleines Vorsingen und du hast dich doch auch nur für eine der Nebenrollen eingetragen, also kein Grund zur Sorge.“, meinte Edward leichthin.
Doch so leicht, wie er sich das vorstellte war das einfach nicht, nicht für mich. Nicht mit diesem Lied.
„Ja ich weiß, vielleicht übertreibe ich ja nur, lass uns losfahren.“ Ich konnte ihm jetzt nicht davon erzählen, wenn ich es jetzt rauslassen würde, würde ich den Nachmittag nicht heil überstehen.


Etwa fünfzehn Minuten später fuhr Edward seinen Wagen auf den Parkplatz der Schule. Wir stiegen aus und gingen nebeneinander ins Schulgebäude. Er brachte mich noch zu meinem Raum und verschwand dann schnell um die Ecke.
Ich betrat den noch fast leeren Raum und setzte mich auf meinen Platz neben Mike, welcher bedauerlicher Weise schon da war. Nachdem ich ihn knapp grüßte, packte ich meine Sachen aus und ließ mich auf den harten Stuhl sinken. Mit vor der Brust verschränkten Armen saß ich da und starrte nach vorne. Mike, neben mir, redete die ganze Zeit auf mich ein und versuchte unermüdlich meine Aufmerksamkeit zu bekommen. Doch ich ignorierte ihn geflissentlich.
Nach und nach füllte sich der Raum. Doch einer fehlte auch zehn Minuten nach Unterrichtsbeginn noch. Unser Lehrer. Jessica erhob sich genervt und packte ihre Sachen. Ihr schlossen sich auch weitere Mitschüler an. Gemeinsam verließen sie den Raum und waren kurze Zeit später auf dem Parkplatz zu sehen. Auch Mike erhob sich und packte seine Tasche.


„Kommst du auch mir raus Bella? Der Lehrer kommt eh nicht mehr.“, fragte er und deutete mit dem Kopf zum Lehrertisch.
„Nein ich warte noch, vielleicht kommt er doch noch. Ich will nicht gleich in der ersten Woche Ärger bekommen.“
„Na wie du meinst, ich bin weg.“ Damit verließ nun auch Mike den Raum. Es waren nur noch wenige Schüler da und auch diese verließen nach weiteren zehn Minuten den Raum, also entschloss ich mich letztendlich dazu auch nach draußen zu gehen um noch ein wenig zu entspannen.


Hinter der Schule entdeckte ich einen kleinen Freizeithof mit Liegewiese, Bänken und Tischtennisplatten. Auf einer dieser Bänke saß Edward mit einem Buch in der Hand. Leise, um ihn nicht zu erschrecken setzte ich mich neben ihn.


„Hallo Bella.“, grüßte er ohne aufzusehen.
„Wo… Woher weißt du, dass ich es bin?“, fragte ich verwirrt. Er schaute nun auf und wieder einmal hatte ich das Gefühl in seinen unglaublich tiefen Augen zu versinken.
„Ich hatte es einfach im Gefühl. Außerdem hast du diesen schönen Erdbeerduft an dir und der verrät dich.“ Er schmunzelte leicht und ich meine Wangen erhitzten sich leicht.
„Ok und was machst du hier? Hast du keinen Unterricht?“
„Nein, ich fange heute erst später an.“
„Und warum hast du mich dann abgeholt? Ich meine, das war sehr nett, aber nicht nötig. Du hättest doch lieber ausschlafen können.“


Es war mir extrem unangenehm, dass er extra wegen mir aufgestanden war um mich zur Schule zu bringen. Dabei hätte er ausschlafen können.
„Bella, jetzt mach dir bitte keine Gedanken. Ich hab dich gerne gefahren und ich brauche sowieso nicht viel Schlaf und bin immer früh wach.“, meinte er achselzuckend. „Und was machst du hier draußen?“, fragte er nun.
„Unser Lehrer ist zwanzig Minuten nach Unterrichtsbeginn nicht gekommen und die meisten Schüler sind dann gegangen. Als alle dann den Raum verließen, ging ich auch. Und hier bin ich nun. Ich hoffe ich störe dich nicht beim Lesen?“ Ich deutete mit der Hand auf das Buch in seiner Hand, welches er nun mit einem leisen Plop schloss.
„Nein, kein Problem. Deine Gesellschaft ist auch um einiges angenehmer als die von fiktiven Romanfiguren.“
Oh Gott dieses Lächeln. Einfach umwerfend. Ich musste ein paar Mal blinzeln um meine Gedanken wieder zu ordnen.
„Ähm… danke.“ Verlegen senke ich meinen Kopf und starrte meine Hände an, die ich in meinem Schoß zusammen gefaltet hatte.


Edward hingegen lehnte sich etwas nach vorne und stützte seine Ellenbogen auf seine Knie, drehte sein Gesicht zu mir und suchte meinen Blick.
„Also, erzählst du mir nun warum du so nervös wegen diesem Vorsingen warst?“ Diese Frage traf mich unvorbereitet. Mein Magen zog sich zusammen und meine Hände fingen an zu zittern. Ich traute meiner Stimme nicht ganz, fing dann aber doch leise an zu sprechen.
„Ich… na ja, also… das ist…“ Ich schüttelte meinen Kopf, ich konnte es ihm nicht sagen, nicht jetzt, nicht hier.
„Bella, beruhige dich. Du musst mir nichts erzählen wenn du nicht willst. Ich möchte nur, dass du dich wohler fühlst und anscheinend belastet dich etwas, was mit diesen Vorsingen zu tun hat.“ Eindringlich sah er mich nun an, als würde er versuchen die Antworten in meiner Seele zu finden.
Ich seufzte schwer, holte tief Luft und erzählte, nicht alles, dazu war ich noch nicht bereit, aber soviel, dass er meine Aufregung verstand.


„Ich hab mir ein etwas spezielleres Lied herausgesucht zum Vorsingen. Es ist keines, was man in den Chats findet oder auf irgendwelchen Bühnen. Ich hab es selbst geschrieben, als ich ein schlimmes Ereig…“ Meine Stimme brach und ich versuchte den Klumpen in meinem Hals herunterzuschlucken um weiter sprechen zu können. Edward ließ mir Gott sein Dank die Zeit um mich wieder zu fangen.
„Also… es gab vor ein paar Jahren einen Verlust in meiner Familie… und diesen versuchte ich damit zu verarbeiten. Na ja es blieb bei dem Versuch. Ich hab es bis heute nicht ganz geschafft und will nun einen weiteren Versuch starten.“ Ich endete und sah Edward nur zögernd an. Er wirkte nachdenklich, es hatte sich eine kleine Falte zwischen seinen Augenbrauen gebildet. Dann sah ich mich wieder direkt an und ich hatte wieder das Gefühl er würde in meinen Kopf gucken wollen, um dort weitere Informationen zu finden. Gerade als Edward den Mund öffnete, klingelte es zur nächsten Stunde. Wir erhoben uns und gingen zurück in die Schule zu unseren Klassen.


In der letzten Stunde hatte ich wieder Bio, zusammen mit Edward. Ich konnte mich jedoch kaum noch auf den Unterricht konzentrieren. Immer wieder blickte ich nervös auf die Uhr über der Tafel. Die Zeiger schienen zu kriechen, so als wollten sie mich ärgern und noch nervöser machen. Noch zehn Minuten dann begann das Vorsingen. Nur zehn Minuten in denen ich versuchen musste ruhig zu bleiben um nicht vorher schon auszuflippen. Ich konnte beim besten Willen nicht voraussehen wie es mir danach gehen würde. Ob ich überhaupt einen Ton heraus brachte oder ob ich mich einfach nur blamieren würde? Ich hatte keine Ahnung.


Ich schaute wieder auf die Uhr, noch acht Minuten. Ich seufzte leicht und sah aus dem Fenster. Draußen wurde es immer windiger. Heute Morgen konnte man schon das schlechte Wetter ahnen, nun ging es anscheinend los. Die Bäume bogen sich immer mehr im Wind und lose Blätter wurden wild durcheinander gewirbelt. Der Herbst zeigte sich wieder von seiner besten Seite. Genervt ging mein Blick wieder zur Uhr.


Fünf Minuten.


Klasse. Konnte die Zeit noch langsamer schleichen?


In meinem Magen wurde es immer flauer und meine Brust schnürte sich zusammen. Es war beklemmend, ich hatte das Gefühl nicht atmen zu können. Edward sah mich von der Seite immer wieder besorgt an, doch ich ignorierte ihn und sah wieder zur Uhr.


Drei Minuten.


Meine Beine zitterten ununterbrochen unter dem Tisch, ich hob meine Hand zu meinem Mund und kaute auf meinen Nägeln, typische Anzeichen von Anspannung. Aber das was ich fühlte war mehr, ich hatte Angst. Dennoch durfte sie mich jetzt nicht beherrschen, ich musste sie unterdrücken und mich zusammenreißen.


Noch ein Minute.


Meine Hände fingen an zu zittern als ich sie auf den Tisch legte. Mein Blick schweifte hektisch durch das Klassenzimmer, immer wieder zurück zur Uhr. Nun fixierte ich diese, als könnte ich die Zeiger hypnotisieren, um schnell zu laufen. Eine kalte Hand auf meiner riss mich aus meiner Konzentration.


Ich sah zu Edward. Er lehnte sich etwas zu mir.
„Beruhige dich. Du schaffst das schon und ich bin auch da.“, flüsterte er in mein Ohr.
Ich lächelte ihn nur schwach an. Seine Worte machten mich sogar noch nervöser.


Dann erklang endlich die Klingel und Mr. Banner entließ uns vom Unterricht, von dem ich sowieso nicht viel mitbekommen hatte. Wir packten unsere Taschen und verließen den Raum Richtung Musiksaal. Hier waren schon einige unserer Klassenkameraden und sangen vor sich hin, in Gruppen oder alleine. Ich sah, dass der Flügel frei war und ging langsam zu dem Podest.


Ich setzte mich auf den schwarzen, abgewetzten Hocker und hob die Abdeckung an. Vorsichtig strich ich über die Tasten und drückte vereinzelt welche um ihren Klang zu testen. Ich spürte einige Blicke in meinem Rücken, doch ab jetzt versuchte ich alles um mich herum auszublenden. Ich begann langsam mein Stück zu spielen. Als ich fast am Ende war bemerkte ich Edwards Gestalt neben mir auf der Bank. Er hatte seine Hände auch auf die Tasten gelegt und spielte zwei Oktaven höher mit mir zusammen noch einmal von vorne.


Der letzte Ton verklang und Edward drehte sich seitlich zur mir und sah mich an.
„Das war wunderschön. Das hast du alleine geschrieben?“, fragte er beeindruckt.
Ich nickte nur und starrte wieder auf die Tasten.
„Und dazu singst du nachher auch?“
Wieder ein Nicken von mir. Ich hatte langsam Mühe die Tränen aufzuhalten, die nach außen wollten.
„Hast du etwas dagegen wenn ich für dich die Begleitung spiele und du dich alleine aufs Singen konzentrierst?“ Diese Frage kam nun sehr unerwartet und genauso überrascht und verwundert musste auch mein Gesicht gewesen sein, denn Edward fing sofort wieder an zu reden.
„Du kannst natürlich auch alleine spielen. Ich dachte nur, dass…“
„Edward.“, unterbrach ich ihn. Er stoppte und sah mich mit großen Augen an. Beinahe hätte ich gelacht.
„Ich würde es schön finden wenn du mich begleitest. Ich hatte nur nicht damit gerechnet, da du die Noten ja eigentlich ja gar nicht kennst.“, warf ich ein.
„Ich hab ein sehr gutes Gedächtnis und präge mir schnell Sachen ein, Noten sind da das geringste Problem.“
„Ja, dann würde ich mich sehr freuen wenn du für mich spielst.“ Ein sanftes Lächeln schlich sich auch meine Lippen, als ich die Begeisterung in seinen Augen bemerkte.


Unser Blickkontakt wurde dann leider durch Mr. Mclachlan unterbrochen, welcher gerade in den Saal stürmte und alle um Ruhe bat. Er wollte gleich mit dem Vorsingen beginnen und holte zunächst Jessica auf die Bühne. Diese präsentierte uns eine etwas zu hohe Version Jeanette Biedermanns ‚No more tears’. Ein, zwei Oktaven tiefer und ihre Stimme würde bei den hohen Tönen nicht immer wegbrechen.
Die nächste war Angela, sie setzte sich mit einer Gitarre auf einen Hocker und sang von Avril Lavigne ‚Nobodys home’. Es klang recht gut bei ihr, nur fehlte ihrer Stimme, meiner Meinung nach, dieses quirlig - quietschige. Aber immerhin traf sie so gut wie alle Töne.


Nach Angela war Ben an der Reihe. Er überraschte mich, seine Singstimme war so anders seine Sprechstimme. Sie war weich und sehr geeignet für Balladen. Er sang ‚Black Orchid’ von Blue October, auch er begleitete sich selbst mit der Gitarre, welche er vorher Angela abnahm.


Ich war noch ganz benommen von Bens Stimme, als ich von Edward angestoßen wurde.
„Du bist gleich dran.“, meinte er lediglich und gleich danach wurde mein Name auch schon aufgerufen.
Stirnrunzelnd sah ich ihn an, doch er grinste nur und drehte sich zu den Tasten um.
Ich stand langsam auf und stellte mich in die Mitte der Bühne. Alle Augenpaare lagen auf mir, ich räusperte mich kurz und sagte dem Lehrer, dass ich ein selbstgeschriebenes Stück singen würde und Edward mich begleitete. Mr. Mclachlan nickte nur und deutete mir so zu beginnen. Ich nickte Edward zu und er begann das Vorspiel. Kurz vor meinem Einsatz atmete ich tief ein und schloss meine Augen.


Die letzte Note vom Intro war gespielt und der gleichmäßige Klang der Strophe erfüllte den großen Saal. Ich brachte jedoch keinen Ton heraus. In meinem Hals steckte ein riesiger Kloß, ich hatte das Gefühl zu ersticken und in meinem Mund war es so trocken wie in der Sahara. Edward unterbrach das Spielen, es war totenstill. Kein Laut war zu hören. Ich vernahm ein kratzendes Geräusch und dann eine kalte Hand auf meiner Schulter. Erschrocken blickte ich auf, direkt in das flüssige Gold von Edwards Augen.
„Komm.“, sagte er nur und führte mich zum Flügel. Er drückte mich auf den Hocker und setzte sich dicht neben mich.
„Leg deine Hände auf die Tasten.“, befahl er ruhig. Ich machte es ohne weiter nachzudenken.
„Und jetzt spiel und lass dich treiben. Stell dir vor du wärst alleine hier. Niemand sieht oder hört dich, nur du bist da. Vergiss alles andere.“, redete er mir mit sanfter, hypnotisierender Stimme ein.


Er begann das Stück von vorne und ich setzte einige Takte später mit ein. Ich schloss wieder meine Augen und ließ mich von meinen Gefühlen treiben, niemand war mehr in diesem Raum nur noch Edward und ich. Ihn konnte ich einfach nicht aus meinem Kopf verbannen.
Das Intro ging nun zum zweiten Mal in die Strophe über und ich begann zu singen. Leise und mit einem traurigen Klang kamen die Worte über meine Lippen. Ich wurde von meiner Erinnerung überschwemmt.


I entered the room
Sat by your bed all through the night
I watched your daily fight
I hardly knew
The pain was almost more than I could beat
And still I hear
Your last words to me.

Ich stand vor der Zimmertür und klopfte vorsichtig, bevor ich meinen Kopf durch die Tür steckte und leise hineinschlüpfte. In ihrem großen Bett lag sie, meine beste Freundin, meine Spielkameradin, meine Weggefährtin, meine kleine Schwester. Blass und mit der Decke bis unters Kinn gezogen, lag sie still im Bett. Sie hatte die Augen geschlossen und atmete schwer. Es brach mir das Herz sie so zu sehen, ich fühlte mich völlig hilflos. Man konnte ihr nicht mehr helfen, ich konnte ihr nicht mehr helfen. Einmal hatten wir es versucht, aber es wirkte nicht sehr lange. Theresa war schon sehr lange schwerkrank.


Ich setzte mich neben ihr Bett auf einen Stuhl und betrachtete ihr verzerrtes Gesicht. Ihre Wangen waren gerötet und auf ihrer Stirn hatten sich Schweißtropfen gebildet. Ich nahm den Waschlappen aus der Schüssel vom Nachttisch und tupfte ihr behutsam die Stirn ab. Flatternd öffneten sich ihre Augen und ich konnte ich die gleichen tiefen, braunen Augen sehen, die auch ich hatte. Als sie mich entdeckte zogen sich ihre Mundwinkel zu einem kleinen Lächeln. Sie streckte die Hand nach mir aus. Langsam glitt ich vom Stuhl und setzte mich auf den Boden an das Kopfende vom Bett. Ich nahm ihre kalte Hand in meine und legte meinen Kopf auf die Matratze.


„Hey… Issy.“, brachte sie krächzend heraus.
„Hey Tess.“ Mir kamen fast die Tränen. „Wie geht es dir heute?“ Ich kannte die Antwort eigentlich schon,
doch ich wollte es nicht wahr haben und anstatt meine Frage zu beantworten, sagte sie etwas was mein Herz in tausend, kleine Teile zersplittern ließ.
„Ich… kann nicht mehr…“ Ein Hustenanfall unterbrach sie. „Ich… ich möchte mich… heute gerne von euch… ver…verabschieden…“ NEIN, schrie es in mir.
„Nein. Tess halte durch, du schaffst das ganz sicher. Soll ich den Arzt anrufen?“
Doch sie schüttelte nur schwach den Kopf, sie hatte aufgegeben, nach so vielen harten Jahren des Kämpfens.
„Es… es tut mir… Leid… aber denk immer daran, ich bin ganz in deiner Nähe, der Himmel ist ganz nahe.“


Heaven is a place nearby
So I won't be so far away.
And if you try and look for me
Maybe you'll find me someday.
Heaven is a place nearby
So there's no need to say goodbye
I wanna ask you not to cry
I'll always be by your side.

‘Ich werde immer an deiner Seite sein.’ Das waren ihre letzten Worte bevor sie ihre Augen für immer schloss. Ich brach weinend auf ihrem Bett zusammen, klammerte mich an ihre Hand und schluchzte ununterbrochen. Sie war gegangen, vielleicht in eine für sie bessere Welt. Doch wie sollte ich ohne meine beste Freundin und Schwester leben? Darauf hatte ich einfach keine Antwort.


You just faded away
You spread your wings you had flown
Away to something unknown
Wish I could bring you back.
You're always on my mind
About to tear myself apart.
You have your special place in my heart.
Always.

Doch auch mein Leben musste weitergehen, sie würde immer bei mir sein, an einem ganz besonderen Ort, ganz tief in meinem Herzen.
Ich sang aus tiefsten Herzen. Ich musste weiterleben, das war ich Tess schuldig. Sie war immer für mich da, auch wenn sie die jüngere von uns beiden war.


Heaven is a place nearby
So I won't be so far away.
And if you try and look for me.
Maybe you'll find me someday.
Heaven is a place nearby.
So there's no need to say goodbye
I wanna ask you not to cry.
I'll always be by your side.

Meine Stimme wurde zum Ende hin immer dünner, das Zwischenspiel überließ ich Edward alleine, meine Finger zitterten zu stark um noch einen richtigen Ton zu spielen. Ich atmete noch einmal tief durch um mich wieder etwas zu sammeln und sang etwas kräftiger weiter.


And even when I go to sleep.
I still can hear your voice.
And those words.
I never will forget.
Heaven is a place nearby
So I won't be so far away.
And if you try and look for me.
Maybe you'll find me someday.
Heaven is a place nearby.
So there's no need to say goodbye
I wanna ask you not to cry.
I'll always be by your side.

Immer wieder gingen mir an diesem Tag ihre Worte durch den Kopf und auch jetzt, ein Jahr später, kam es mir vor als hätte sie sie erst gestern ausgesprochen. Nach der letzten Zeile brach meine Stimme. Edward setzte noch einmal an, merkte aber schnell, dass ich nicht mehr im Stande war auch nur einen Ton zu singen. Er ließ das Stück ausklingen und zog mich dann in seine Arme. Ich schmiegte mich an seine kalte, harte Brust und ließ meinen Gefühlen jetzt freien Lauf.

Bellas Outfit

Avril Lavigne - Nobody's Home

Jeanette Biedermann - No more Tears

Lene Marlin - A place nearby