Bella POV
„Das fürchterlichste Mittel gegen quälende Gedanken ist die Zerstreuung: Sie führt zur Gedankenlosigkeit.” - Franz Grillparzer
Sanft spürte ich die schaukelnden Bewegungen meiner Stute. Ich hatte meine Augen, so wie Edward es wollte, geschlossen und ihm die Zügel überlassen. Auf einmal hatte ich einen frischen, süßen Geruch in der Nase. Es roch nach Wald und dazu noch intensiv nach Blumen. Edward sagte ich könnte nun meine Augen wieder öffnen. Blinzend öffnete ich diese und als ich sah wo ich mich befand, traf mich der Schlag und meine Gefühle gerieten völlig durcheinander. Wir standen mitten auf einer großen und fast perfekt runden Lichtung. Uns umgab eine Wand von dunkelgrünen Bäumen, die Wiese war auch tiefgrün und blauviolette Waldveileichen sprenkelten den Boden. Leichte Nebelschwaden schwebten bedächtig am Rand der Lichtung und vereinzelte Lichtkegel der Sonne verliehen diesem Ort eine mystische und romantische Atmosphäre - könnte man meinen. Ich war überwältigt. Meine Gefühle drohten auszubrechen, nur mit Mühe konnte ich meine Maske aufrechterhalten. Ich wollte nicht, dass Edward etwas merkte. Das ging ihn absolut nichts an, das ging niemanden etwas an.
Edward tauchte auf einmal neben mir auf und hielt mir seine Hand entgegen. Ich ließ mir von Pferd helfen. Meine Beine waren ganz wackelig, als sie den Boden berührten. Er hielt immer noch meine Hand und führte mich weiter in die Mitte, wo er sich auf den Boden fallen ließ und mir andeutete mich auch zu setzen. Ich jedoch ging noch ein paar Schritte weiter. Ich fühlte mich wie in die Vergangenheit versetzt. Sämtliche Erinnerungen tauchten vor meinem inneren Auge auf und schütteten wieder Salz in die nie verheilten Wunden. Andächtig strich ich zart über das kniehohe Gras und betrachtete die Veilchen. Es sah genauso aus wie damals. Ich sah wie zwei kleine Mädchen über eine Wiese mit blauen Blumen tobten. Sie lachten und hatten eine Menge Spaß. Die beiden braunhaarigen Kinder liefen auf die andere Seite der Lichtung. Ich folgte meiner Illusion. Sie setzten sich ins Gras und begannen aus den Blumen hübsche Kränze zu flechten. Ihre weiten Röcke hatten sich wie ein runder Schirm um sie ausgebreitet. Die dunkelbraunen, lockigen Haare fielen ihnen über die Schultern. Als beide fertig waren, setzten sie sich gegenseitig die Kränze auf den Kopf und sie lächelten einander an.
„Bella?“ Ich hörte eine Stimme, leise und gedämpft, als würde ich Watte in den Ohren haben. „Hey, Bella alles in Ordnung?“ Wieder diese samtene Stimme, diesmal etwas deutlicher. Die Szene vor mir verwandelte sich, die beiden Mädchen verschwammen langsam und das besorgte Gesicht von Edward tauchte vor mir auf. Ich starrte ihn an, ohne an irgendetwas zu denken. Meine Gedanken waren wie weggefegt. In meinem Inneren war wieder diese Leere, die ich seit Jahren versuchte zu verschließen. Ich versuchte krampfhaft zu vergessen, dass meine zweite Hälfte unwiderruflich von mir gerissen wurde und nun schmerzhaft fehlte.
„Bella!“ Ich spürte eine kalte Hand an meiner Wange. Erschrocken erstarrte ich und wich dann etwas zurück. Nur langsam kam ich wieder in die Gegenwart. Ich bemerkte die feuchte Spur an meinen Wangen und hob hastig meine Hand um sie wegzuwischen. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich angefangen hatte zu weinen. Doch meine Tränen ließen sich nicht stoppen, ich zitterte leicht. Ich verschränkte meine Arme vor der Brust und versuchte so wieder du Kontrolle über meinen Körper und meine Emotionen zu bekommen. Edward trat einen Schritt auf mich zu und legte sanft seine starken Arme um mich und drückte mich an sich. Ich spürte seine harte Brust an der ich meinen Kopf anlehnte. Er fuhr mit seiner Hand tröstend meinen Rücken auf und ab. Ich spürte seine kalte Hand selbst durch mein Top und meine Bluse. Ich klammerte mich nun fest an sein Hemd und ließ meinen Gefühlen freien Lauf.
Hemmungslos schluchzte ich und meine Tränen rannen in Wasserfällen an meinen Wangen herab. Mein ganzer Körper zitterte heftig unter meinen Weinkrämpfen. Ich konnte es nicht mehr aufhalten, zu lange hatte ich diese Gefühle unterdrückt und sie fest verschlossen, doch nun, als ich diesen Ort sah, brach es heraus und übermannte mich. Edward ließ mich weinen, sagte nichts, denn es gab nichts was mich hätte trösten können. Er war einfach nur da und hielt mich in seiner Umarmung. Ich fühlte mich hier merkwürdig geborgen und beschützt. Ich drückte mich weiter an ihn. Eine Hand streichelte mir immer noch über den Rücken die andere hatte er in meinen Haaren vergraben. Nur langsam beruhigte ich mich wieder, meine Tränen versiegten und das Schluchzen wurde leiser, bevor es ganz verschwand. Ich löste mich etwas von ihm, schaute ihm kurz in die Augen und senkte bei seinem besorgten Ausdruck sofort meinen Blick. Plötzlich war es mir furchtbar peinlich so sehr die Beherrschung verloren zu haben. Wir kannten uns kaum und ich brach vor seinen Augen so zusammen. Schnell wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht und atmete einmal tief durch.
„Entschuldige.“ Meine Stimme war rau und kehlig vom Weinen. „Ich… ich weiß nicht was… was los war. Tut mir…“ Weiter kam ich mit meinem Entschuldigungsversuch nicht. Edward hatte mich sanft aber bestimmt unterbrochen.
„Bella dir muss gar nichts Leid tun. Mir tut es Leid, ich hätte dich nicht hierher bringen sollen. Ich wusste nicht…“ Diesmal ließ ich ihn nicht aussprechen.
„Edward, du konntest es nicht wissen. Gib dir bitte nicht die Schuld, es wäre falsch.“, flüsterte ich.
„Ist alles wieder gut?“, fragte er dann. Ich nickte nur leicht.
„Können wir zurück? Ich… ich muss mich noch auf das Vorsingen vorbereiten.“ Meine Stimme war immer noch etwas rau, aber ich hatte mich wieder beruhigt.
„Sicher. Lass uns zurück.“, sagte er nur und half mir wieder auf mein Pferd.
Ich blickte noch einmal zurück, bevor wir hinter der Baumgrenze in den Wald eintauchten. Der Weg zurück war still. Edward schien tief in seinen Gedanken versunken zu sein. Ich war froh, dass er mich nicht wegen des Vorfalls ausfragte. Ich konnte nicht darüber reden, ich kannte ihn doch kaum. Aber ich hatte auch niemand anderen mit dem ich reden könnte. Ich musste mit dieser Sache alleine klar kommen.
Nach etwa einer viertel Stunde kamen wir wieder auf dem Hof an. Die Pferde wurden abgesattelt und versorgt. Ich hatte mich verabschiedet und war auf dem Weg nach Hause. Ich schloss die Tür auf, streifte meine dreckigen Stiefel ab und ging dann in die Küche um mir ein Sandwich zu machen um dann ein wenig fernzusehen. Ich hatte keine Lust jetzt für das Vorsingen zu üben, das Lied welches ich singen würde, konnte ich auswendig. Ich ließ mich im leeren Wohnzimmer auf das Sofa fallen, schaltete den Fernseher ein und zappte lustlos durch die Kanäle. Im Haus herrschte die gewohnte Stille. Meine Eltern waren wie immer den ganzen Tag auf Arbeit, von morgens bis abends. Das war aber schon immer so, auch als… Ich schüttelte schnell meinen Kopf um den aufkommenden Gedanken wieder los zu werden. Für gewöhnlich vertrieb ich mir die Zeit nach der Schule auf dem Reiterhof, aber da ich mit meiner verletzten Schulter nicht wirklich was machen konnte, fiel das auch aus. Ansonsten hatte ich in Chicago dreimal in der Woche Gesangs- und Klavierunterricht gehabt oder mich mit meinen Freunden getroffen. Hier, am Ende der Welt, war nichts los. Und es war wirklich am Ende der Welt. Nur einen Schritt raus aus den dichten Wäldern von Forks und man fiel von der Welt.
Nach einer Weile stieg ich die Treppen hoch und verbrachte den Abend in meinem Zimmer. Leise Klaviermusik klang an meinen Boxen, als ich unten die Haustür zuschlagen hörte. Mein Vater war also wieder da. Meine Vermutung bestätigte sich zusätzlich durch sein Gebrüll.
„Isabella, wo zum Teufel steckst du?“
Ich seufzte schwer, schloss kurz meine Augen um mich zu sammeln und ging dann nach unten in die Küche.
„Hallo Dad. Wie war dein erster Arbeitstag?“, fragte ich ihn ohne wirkliches Interesse.
„Ja ja gut. Wieso hast du nichts zum Abendbrot gemacht? Du sitzt doch den ganzen Tag zu Hause rum und bekommst nicht einmal das fertig? Was kannst du eigentlich richtig? Interessierst dich nur für deinen Gaul und wir, deine Mutter und ich, schuften tagtäglich um dir was bieten zu können und wie dankst du uns? Hm?“, wütete Charlie. Seine Worte verletzten mich zutiefst und ich hatte Mühe die aufsteigenden Tränen herunterzuschlucken. Ohne etwas zu sagen und mit gesenktem Kopf ging ich zum Kühlschrank und nahm die fertigen Sandwiches heraus. Ich befreite diese in aller Seelenruhe von der Frischhaltefolie und knallte sie vor meinem Vater auf den Tisch.
„Guten Appetit, Dad“, sagte ich kalt. ‚Hoffentlich erstickst du dran.’, fügte ich in Gedanken hinzu und rannte wieder in mein Zimmer.
Ich schmiss mich aufs Bett und versuchte weiterhin die Tränen zu verdrängen. Er verdiente es nicht um ihn zu weinen, es gab wichtigere Menschen in meinem Leben, die es verdienten um sie zu weinen. Aber auch das erlaubte ich mir jetzt nicht, einmal hatte ich heute schon die Kontrolle verloren.
Ich holte mir von meinem Schreibtisch meinen Laptop und schaltete ihn ein. Ich wollte die Mails von meinen Freunden aus Chicago endlich beantworten und ein wenig mit meiner besten Freundin über Skyp telefonieren. Jill war einfach die beste Freundin, die man sich wünschen konnte. Wir trafen uns neben der Schule fast täglich. Sie hatte auch eine Stute und wir ritten im gleichen Team, im ‚Tres flores de lis’ –Juniorteam. Sie berichtete mir gerade von einer neuen Internetseite, einem Forum für Vielseitigkeitsreiter, wo auch nur eingetragene Turnierreiter hineinkamen. Ich klickte die Seite an und gab bei der Anmeldung meine Reiternummer ein. Schon war ich online. Sorgfältig erarbeitete ich mir ein ansehnliches Profil mit ein paar Fotos von mir, Eclipse und uns beiden im Gelände. In meiner Beschreibung stellte ich mich kurz vor und machte noch einige Einstellungen, bevor ich mich auf die Seite der Forenübersicht stürzte. Ich entdeckte ein Forum namens Chicago, Illinois und weiter unten stand Seattle, Washington. Ein Forum von Forks direkt gab es nicht und da Seattle der nächstgelegene Ort war klickte ich diesen und zusätzlich noch den aus Chicago an. Im Chicagochat waren alle Nicknamen meiner ehemaligen Teamkollegen. Jill hatte sie mir durchgegeben und so wusste ich wer anwesend war. Doch im Moment interessierte mich der andere Chatraum mehr. Während ich die Namen durchging, unterhielt ich mich weiterhin mit Jill. Sie fragte mich über mein Leben in Forks und die Schule aus.
„Und?“, fragte sie auf einmal.
„Was und?“
„Na hast du schon einen süßen Typen aufgerissen?“
„Oh mein Gott Jill, wie kommst du denn da drauf?“ Meine Freundin nahm wirklich nie ein Blatt vor den Mund.
„Ach komm schon Bella. In Chicago sind dir auch alle Typen sabbernd hinterher gelaufen. Also, ist da jemand?“, fragte sie weiter. Ich überlegte kurz und prompt schob sich das schiefe Grinsen von Edward in meine Gedanken. Unwillkürlich musste ich lächeln.
„Nun ja…“, fing ich an. „Vielleicht ist da jemand den ich mag, aber ich glaube nicht…“, weiter kam ich nicht, denn das tinituserzeugende Quietschen aus meinem Headset unterbrach mich lautstark.
„Oh my god, Bella ist verliebt. Wie heißt er? Wie sieht er aus? Wie alt ist er? Hast du ihn schon geküsst?“, ratterte sie ihre Fragen runter.
„Stopp, stopp. Nun mach mal halblang. Ich bin mal gerade drei Tage hier, falls du das schon vergessen hast.“, sagte ich schmunzelnd.
„Okay, also erzähl schon.“, forderte sie. Typisch Jill, sie wollte immer alles wissen, was mit Jungs zusammen hing.
„Er heißt Edward Cullen und geht in meine Klassenstufe. Er wohnt mit seinen vier Geschwistern und seinen Eltern auf dem Hof, wo ich Eclipse untergestellt habe.“, fing ich an zu erzählen.
„Woah… Moment. Er reitet?“, fragte sie erstaunt.
„Ja. Auch Vielseitigkeit. Ich war heute Nachmittag mit ihm im Gelände…“ Ich stockte bei der Erinnerung an die Lichtung, denn auch Jill wusste nichts von meinen Gefühlen, das alles passierte vor unserem Kennenlernen.
„Man, hast du ein Glück. Dann siehst du ihn ja auch noch jeden Tag, das ist doch perfekt. Beschreib ihn mal!“, plapperte sie weiter. Ich atmete tief durch.
„Er ist groß, muskulös, aber nicht zu sehr. Ziemlich blass und er hat bezaubernde bronzefarbene Haare, die ihm wild vom Kopf abstehen. Seine Augen haben eine merkwürdige Farbe. Ich würde fast sagen sie sind golden oder karamellfarben. Hast du so was schon mal gesehen? Also ich nicht.“ Seine Augen hatten mich vom ersten Moment an gefesselt, sie waren wirklich etwas besonderes, genauso wie seine ungewöhnlich blasse und kühle Haut.
„Hm, nein das ist mir auch noch nicht untergekommen. Aber so wie du ihn beschreibst muss er ja ein Traumtyp sein. Bleib bloß dran!“, meinte sie.
„Du bist lustig. Ihm rennen alle Mädchen der Schule hinterher.“, widersprach ich. ‚Was auch nicht verwunderlich ist, bei dem Aussehen.’, dachte ich mir.
„Und außerdem will er sicher nichts von so einem unscheinbaren Mädchen wie mir.“, stellte ich klar. Doch kaum hatte ich das ausgesprochen, hörte ich das empörte Schnauben am anderen Ende der Leitung.
„Bella.“, sagte Jill streng. „Jetzt hör mir mal ganz genau zu.“, wetterte sie weiter, doch ab da besaß sie meine Aufmerksamkeit nicht mehr wirklich. Ein kleines, blinkendes Kästen am unteren, rechten Rand meines Bildschirms erregte mein vollstes Interesse.
Hi Bella, na hast auch hier ins Forum gefunden?
Das stand in dem Kästchen und darüber der Name. E20A06C01. Das war ein äußerst merkwürdiger Nick, vor allem wer war das und woher kannte dieser jemand meinen Namen? Okay, er war in meinem Nick eingebaut, aber das war Zufall. Ich öffnete das Privatgespräch und schrieb einfach mal zurück.
Bella buio: Hi, ja meine Freundin hat mich drauf aufmerksam gemacht. Aber bevor wir weiter schreiben, würde ich doch gerne wissen mit wem ich mich unterhalte.
E20A06C01: Oh, ja Sorry. ;) Ich bins Edward. :)
Bella buio: Hey, Edward. :) Woher weißt du, dass ich hinter dem Namen stecke? Ich meine nur weil da Bella steht, muss das ja nicht Ich sein.
E20A06C01: Schon richtig. Aber Bella buio ist auch italienisch und heißt ‚Schöne Dunkelheit’ oder ‚Wunderschöne Finsternis’ auf Deutsch und auf Englisch Eclipse… darauf wolltest du sicher hinaus bei der Namenswahl, oder irre ich mich da?
Er war wirklich clever, genauso war es.
Bella buio: Ja richtig, das hing wirklich mit Eclipse zusammen. Nicht schlecht. Und was hat es mit deiner Buchstaben- und Zahlenkombination auf sich?
E20A06C01: Das ist ganz einfach. Die Buchstaben sind meine Initialen Edward Anthony Cullen und die Zahlen sind ein Datum 20.Juni 2001, da hatte ich mein erstes Turnier und der 20.06. ist auch gleichzeitig mein Geburtstag. ;)
Bella buio: Ach so, ja das leuchtet ein.
E20A06C01: Wie geht es deiner Schulter?
Bella buio: Geht so, muss bis Donnerstag noch diese Schiene tragen. Ist nur ne leichte Prellung und ne Schürfwunde. Danke der Nachfrage.
„HEY BELLA.“, brüllte jemand in mein Ohr. Vor lauter Schreck wäre ich fast von meinem Bett gefallen. Wer schreit mir denn hier so ins Ohr? Verwirrt schaute ich mich in meinem Zimmer um, aber ich war alleine.
„BELLA. Hallo? Bist du noch da?“ Die Stimme von Jill drang aus dem Kopfhörer in mein Ohr. Mist, ich hatte sie völlig vergessen.
„Ähh, ja Jill ich bin noch da. Sorry hattest du was gesagt?“, fragte ich kleinlaut.
„Mensch Bella, wo bist du mit deinen Gedanken gewesen? Du hast schon seit knapp fünf Minuten nicht mehr reagiert. Was ist denn los?“, fragte sie besorgt.
„Nichts alles okay. Ich war nur gerade in Gedanken. Du Jill, nimm es mir bitte nicht übel aber ich werd so langsam ins Bett gehen. Der Tag war anstrengend. Wir telefonieren am Wochenende länger, okay?“, versuchte ich sie zu beschwichtigen.
„Ja, alles klar. Bis dann und gibt nicht auf bei Edward.“
„Jaja, gute Nacht. Hab dich lieb und grüß alle ganz lieb von mir. Byebye.“
„Hab dich auch lieb, Süße. Bye“
Ich kappte die Verbindung und nahm das Headset ab. Dann bemerkte ich wieder das Blinken am Bildschirmrand. Schnell öffnete ich das Fenster und sah dass Edward wieder geschrieben hatte.
E20A06C01: Das freut mich zu hören. Nicht auszudenken, was wir ohne unsere vierte Reiterin machen würden. ;) Ach noch was, Jasper fragte ob du einen Trainer hast oder ob er dich in Dressur und Springen unterrichten soll. Ich gebe dir einen Tipp, er ist spitzenklasse. ;)
Jetzt war ich echt sprachlos. Ich war im Team? Aber wie konnte er das so einfach entscheiden, keiner hatte mich wirklich reiten sehen, außer er bei unserem Ausritt. Okay, meine Turnierergebnisse waren konstant gut, aber konnte er das so entscheiden?
Bella buio: Wie jetzt vierte Reiterin, ihr habt mich doch noch gar nicht reiten sehen, wie könnt ihr mich da schon ins Team aufnehmen??? Also nicht, dass ich es nicht möchte, sonst hätte ich mich schließlich nicht darum beworben… Aber wenn das so ist, nehme ich das Angebot von Jasper gerne an und lass mich von ihm trainieren, wenn er mich denn aushält. ;)
E20A06C01: Na klar bist du im Team. Als ich dich im Gelände gesehen hab, war ich überzeugt, dass du die richtige bist. Okay, Jasper wird sich sicher freuen, mal jemand anderen zu trainieren, als nur uns. Und nein, es macht ihm sicher nichts aus, er kommt mit jeder Persönlichkeit klar, glaube mir. :)
Bella buio: Na gut, wenn du das sagst, wird es wohl stimmen. So ich werde mich dann langsam bettfertig machen, ich bin ziemlich müde heute. Wir sehen uns sicher morgen. Gute Nacht. Bye.
E20A06C01: Alles klar, dann bis morgen. Gute Nacht, schlaf schön und Sogni d'oro!
Ich lächelte leicht und trennte dann die Internetverbindung, bevor ich meinen Laptop ausschaltete. Nachdem ich noch einmal in der Küche war und den Geschirrspüler angestellt hatte und feststellte, dass meine Mom immer noch nicht zu Hause war, ging ich ins Bett und war auch schnell im Land der Träume.
Am nächsten Morgen verließ ich ziemlich gehetzt das Haus und stoppte abrupt auf der Veranda. Am Straßenrand stand Edward mit in den Taschen vergrabenen Händen und seinem schiefen Grinsen im Gesicht, an sein Auto gelehnt. Verwundert ging ich auf ihn zu.
„Guten Morgen, dormigliona.“, begrüßte mich Edward lächelnd.
„Wie hast du mich gerade genannt?“, fragte ich gespielt böse und zog eine Augenbraue hoch.
„Dormigliona. Das heißt Schlafmütze auf Italienisch.“
„Ja, das weiß ich auch, aber warum nennst du mich so?“ Ich stemmte, als ich genau vor ihm stand, die Hände in meine Hüften und schaute provokant zu ihm hoch.
„Hm… du kannst doch sicher die Uhr schon oder?“ neckte er mich. „Dann weißt du sicher auch wie spät es schon ist.“, stichelte er weiter. „Und da dem so ist, würde ich dir raten endlich einzusteigen, damit wir los können. Ich wollte eigentlich nicht zu spät zum Unterricht kommen.“, schloss er seinen Monolog, öffnete die Beifahrertür und deutete mir an einzusteigen. Ich stieg ein, er schloss die Tür und ließ sich elegant auf den Fahrersitz gleiten.
„Und wie komm ich zu der Ehre, dass du mich abholst? Ich meine, ich hab auch ein eigenes Auto und du würdest jetzt nicht zu spät kommen.“
„Ich konnte dich zwar gestern nicht von Reiten abhalten, aber ich werde dich heute vom Auto fahren abhalten. Mit deiner Schiene ist das sicher nicht so leicht und wir wollen doch keinen Autounfall verursachen, oder?“, fragte er und wurde zum Schluss immer ernster. Ihn schien wirklich was an meinem Wohl zu liegen. Mit einem Lächeln im Gesicht versank ich etwas tiefer in seinen Ledersitzen und ließ mich von ihm zur Schule kutschieren.
Die Stunden vergingen an diesem Tag viel zu schnell und ich wurde immer nervöser. Heute Nachmittag sollte das Vorsingen für das Musical stattfinden. Ich wurde äußerlich immer stiller, redete kaum ein Wort und starrte tief in Gedanken versunken Löcher in die Luft, doch in meinem Inneren tobten die verschiedensten Gefühle wild herum. Ich hatte mir ein spezielles und für mich ganz besonderes Lied ausgesucht. Ich hatte es seit diesem schrecklichen Tag nie wieder gesungen. Es tat einfach zu sehr weh. Doch nun wollte ich es versuchen, ich musste mich langsam meinen Gefühlen stellen und das Lied sollte der Anfang sein.
Ich war gerade auf dem Weg zur Cafeteria, als hinter mir jemand meinen Namen rief. Ich drehte mich um und entdeckte Angela, welche auf mich zu gerannt kam und keuchend vor mir stehen blieb.
„Hi Angela. Warum rennst du denn so? Ich lauf doch nicht weg.“, sagte ich, amüsiert zu ihr blickend.
„Ach nein? Und wo warst du gestern? Ich dachte wir wollten zusammen Mittag essen?“, fragte sie vorwurfsvoll. Mist, ich hatte sie nach meinem kleinen Unfall einfach vergessen. Entschuldigend schaute ich ihr in die Augen.
„Tut mir wirklich Leid, Angela. Ich hab gestern unfreiwillig Bekanntschaft mit den Schließfächern und der Krankenschwester gemacht. Ich habe es vergessen, sorry.“, sagte ich aufrichtig.
„Schon okay. Wollen wir dann jetzt zusammen essen und du erzählst mir was mit dir passiert ist?“, fragte Angela.
Ich nickte ihr lächelnd zu und wir gingen dann in die Cafeteria. Ich nahm mir nur einen kleinen Salat, mehr würde ich bei meiner Nervosität sicher nicht runter bekommen und setzte mich dann mit Angela an einen freien Tisch am Fenster. Nachdem ich Angela jedes noch so kleine Detail über den Unfall erzählt hatte, starrte ich durch das Fenster zum wolkenverhangenen Himmel und ließ meinen Gedanken freien Lauf.
„Hey Sognatrice. Es klingelt gleich, wir sollten uns auf den Weg zum Musiksaal machen.“, flüsterte Edward mir leise ins Ohr. Eine leichte Gänsehaut überzog meinen Hals, als sein kühler Atem meine Haut traf. Ich drehte meinen Kopf leicht und seine Richtung und sah in zwei belustigt blitzende Augen. Nach meiner anfänglichen Verwirrung, drang das Gesagte zu mir durch. Musiksaal. Vorsingen. Verdammt. Ich begann augenblicklich auf meiner Unterlippe zu kauen und hätte bei dem Versuch mich zu erheben fast Bekanntschaft mit dem Boden gemacht. Doch vorher hatten mich zwei starke Arme davor bewahrt. Ich zitterte mittlerweile wie Espenlaub und biss mir die Lippe fast blutig.
„Bella? Alles in Ordnung?“, fragte Edward besorgt. Moment, besorgt? Warum war er immer so besorgt um mich? War er bei jedem so? Na gut, darüber würde ich mir später Gedanken machen. Ich sollte Edward vielleicht noch auf seine Frage antworten, bevor er mich noch für gestört erklärt.
„Ähm, nein alles in bester Ordnung.“, kam es piepsig aus meinem Mund und sofort war meine Unterlippe wieder zwischen meinen Zähnen gefangen.
„Sag mal Bella bist du nervös?“
„Nein, wie kommst du denn bloß darauf?“, fragte ich sarkastisch und befreite mich aus seinen Armen.
„Ach nur so, du kaust ununterbrochen auf deiner Lippe, ein Wunder, dass du noch nicht verblutest. Hinzu kommen deine schwitzigen Hände und dein Herz…“ Mitten im Satz wurde er durch die Klingel unterbrochen. Aufgescheucht durch dieses Zeichen hetzen wir Richtung Musiksaal. Mein Herz schlug immer schneller und ich hatte wirklich extrem schwitzige Hände. Meine Atmung hatte ich fast nicht mehr unter Kontrolle. Wenn jetzt keine Wunder geschah, würde ich entweder ne Panikattacke erleiden oder in Ohnmacht fallen.
„Was ist denn mit dir los, Bella? Bist du immer so verdammt nervös wegen nichts?“, fragte Edward nun irritiert.
„Wieso wegen nichts? Ich hab heute ein Vorsingen, bin dazu noch neu an der Schule und wer weiß wie ich danach behandelt werde.“, blaffte ich ihn an. Den wahren Grund erwähnte ich natürlich mit keinem Wort, das ging schließlich nur mich etwas an.
„Ach komm. Du machst dir doch deswegen nicht wirklich Sorgen?“, fragte er weiter. Nein, deswegen machte ich mir wirklich keine Sorgen, jedenfalls nicht vordergründig. Doch ich wusste nicht wie ich reagierte, wenn ich auf der Bühne stand und diesen Song vor der halben Klasse sang und meine Gefühle dabei verrückt spielten. Das war es, was mich fertig machte.
Doch bevor ich ihm etwas erwidern konnte, betrat Mr. Mclachlan den Saal und bat um Ruhe. Zunächst erklärte er uns den groben Ablaufplan für die Proben und was er dann sagte, ließ mich fast vom Stuhl fallen. Er meinte er hätte heute noch eine wichtige Konferenz und müsse früher Schluss machen, also wollte er sich heute nur die Leute anhören, die ein Instrument spielten und das Vorsingen wurde auf den nächsten Tag verschoben. Wie sollte ich das Ganze morgen noch mal durch stehen? Ich war jetzt schon so kurz vor dem Ausflippen, bis morgen hatte ich mich sicher nicht beruhigt. Auch wenn ich im Moment erleichtert war, morgen würden diese Gefühle mich wieder einholen.
„Also Herrschaften, lasst uns anfangen. Ich möchte diejenigen hören, die sich für das Orchester eingetragen haben, sucht euch eure Instrumente und dann geht’s los.“, tönte die Stimme unseres Musiklehrers durch den Saal.
„Ich werde mir dann mal schnell das Klavier sichern.“, flüsterte Edward und grinste spitzbübisch, bevor er zu dem schwarzen Flügel auf dem Podest ging. Er ließ sich elegant auf dem Hocker nieder und strich beinahe ehrfürchtig über die Elfenbeintasten. In seinen Augen meinte ich ein verträumtes Glitzern erkennen zu können und das bezaubernde Lächeln, welches seine Lippen zierte, bestätigte diese Annahme.
Langsam drückte er die Tasten und erzeugte somit eine sanfte, mir unbekannte Melodie. Leider wurde er ziemlich schnell unterbrochen, da Mclachlan anfangen wollte die einzelnen Schüler anzuhören. Nach dem wir mehr oder weniger talentierte Schüler mit ihren Instrumenten angehört hatten, war Edward an der Reihe, er saß die ganze Zeit still, fast unbewegt auf dem Klavierhocker und drehte sich nun zu den Tasten.
„Mr. Cullen, was könnten sie uns denn präsentieren?“, fragte der Lehrer.
„Ich könnte unterschiedliche Sachen vorspielen, wie sie möchten, Mr. Mclachlan. Was langsames oder schnelleres…“, bot Edward an.
„Beginnen Sie bitte mit etwas langsamen!“, forderte Mr. Mclachlan und schon strichen Edwards Pianistenfinger sanft über die Tasten. Er spielte ein wunderschönes Stück, er lud zum Träumen ein und ich versank augenblicklich in der Melodie. Edward sah auch richtig zufrieden aus, er hatte die Augenlider halb geschlossen und seine Finger schwebten über die Tasten, schienen diese kaum zu berühren. Der ganze Saal war still, alles lauschte seinen wundervollen Klängen. Mr. Mclachlan fand als erster zu sich selbst.
„Mr. Cullen?“ Edward stoppte sofort das Stück. „Können Sie auch noch etwas schnelleres spielen?“, fragte er.
„Sicher, Mr. Mclachlan.“, sagte er und begann nun sehr kräftig und äußerst konzentriert die Tasten zu drücken. Seine Finger wanderten so schnell über das Elfenbein, dass man sie kaum sah. Wie konnte er nur so schnell und sogleich absolut fehlerfrei spielen? Er war wirklich ein Gott am Piano. Cribbio! Oh Gott, jetzt hatte er mich schon soweit, dass ich auf Italienisch dachte. Ich schüttelte leicht den Kopf und ließ mich wieder von der rasanten Melodie mitreißen. Dieses Mal ließ Mr. Mclachlan ihn zu Ende spielen und nachdem der letzte Ton verklungen war, brach tosender Applaus aus. Edward starrte immer noch auf die Tasten, anscheinend mochte er diese Aufmerksamkeit nicht. Aber was wollte er erwarten, wenn er so spielte als würde er der nächste Mozart sein. Seine Fingerfertigkeiten auf diesem Instrument waren einfach mozzafiato. Nein, nicht schon wieder.
Bevor Mr. Mclachlan auch nur einen Ton heraus bringen konnte, ertönte ein geschlossenes ‚Zugabe’ von den Mädchen aus den hinteren Reihen. Unser Lehrer blickte leicht irritiert zwischen den jubelnden Fans und Edward, am Flügel hin und her.
„Okay, meine Damen. Wenn Mr. Cullen noch ein Stück vorzuweisen hat.“, fragend blickte er Edward an.
„Ähm, ja sicher Sir. Ich hätte etwas selbst geschriebenes, es ist nur leider noch nicht fertig. Das Stück heißt ‚The Meadow’.“
„Na gut, fangen Sie an, Mr. Cullen.“, bat er.
Und er begann zu spielen und wie er spielte. Ich war hypnotisiert von diesem weichen und gefühlvollen Klang. Die Töne drangen an mein Ohr und ließen mich träumen. Diese zauberhafte Melodie ließ mich alles um mich herum vergessen. Ich befand mich plötzlich wieder auf der Lichtung, zu der Edward mich am Vortag geführt hatte. Das Grün der Wiese war noch leuchtender und die Farben der Veilchen noch glühender. Ich stand am Waldrand und sah zum zweiten Mal diese Szene mit den beiden Mädchen vor mir. Doch plötzlich verschwand die lockere und fröhliche Atmosphäre. Die beiden Kinder saßen auf einer karierten Decke. Der Kopf der einen lag im Schoß der anderen. Ihr wurde tröstend übers Haar gestrichen und leises Gemurmel durchbrach die Stille der Lichtung. Kaum hatte ich diese Szene überblickt, veränderte sie sich auch schon wieder. Auf einmal lag eine dunkle und bedrückende Stimmung über der Lichtung. Ich blickte in den wolkenverhangenen Himmel, er wurde immer dunkler und kurz darauf öffnete er seine Schleusen. Der Regen prasselte durch die Blätter auf die Lichtung. Dort, in der Mitte saß ein Mädchen, alleine, hatte die Knie angezogen und den Kopf darauf gestützt. Stetige Schluchzer schüttelten ihren zarten Körper und hallten an den Bäumen wieder. Doch bevor auch ich unter der Last der Gefühle einknicken konnte, riss die Melodie plötzlich ab und ich gelangte wieder zurück in die Gegenwart. Edward hatte sich umgedreht und beobachtete mich eindringlich.
Langsam stand er auf und kam auf mich zu.
Übersetzungen:
Tres flores de lis (span.) - Drei Lilien
Sogni d'oro! (ital.) - Träum süß!
dormigliona (ital.) - Schlafmütze
sognatrice (ital.) - Träumerin
cribbio (ital.) - wahnsinn, unglaublich
mozzafiato (ital.) - atemberaubend
Bellas Outfit
Edwards 1. Klavierstück
Edwards 2. Klavierstück
Edwards 3. Klavierstück
Montag, 25. Januar 2010
Samstag, 16. Januar 2010
5. Kapitel Offen wie ein Buch
Edward POV
Es sollte heute nicht einer dieser üblichen Schultage werden. Langweilig bis zum-geht-nicht-mehr. Immer dasselbe Schema. Immer dieselben Leute. Immer dieselben, primitiven Gedanken. Nein, heute war etwas anders und ich wusste auch ohne Gedanken lesen zu können, was es war.
Bella.
Es kam nicht oft an dieser Schule vor, dass neue Schüler kamen. Und dann auch noch so Hübsche. Das wussten die hormongesteuerten Jungen hier natürlich noch nicht, aber ihre Fantasie formte ein Mädchen nach ihren Wunschvorstellungen. Absurd, keiner kam auch nur in die Nähe des Originals.
Kopfschüttelnd setzte ich meinen Weg Richtung Chemieraum fort. Ich kam durch einen der schmaleren Flure und schon von weitem konnte ich das Stimmengewirr vernehmen. Etwas abseits des Geschehens lehnte ich mich lässig an eine Wand und beobachtete das kindische Treiben im Flur. Einige der pubertierenden Jungen hatten wieder mal ihre Hormone nicht im Griff und stritten sich um ein Mädchen. Einer war mal ihr Exfreund, wollte aber noch was von ihr. Der nächste war auch in sie verknallt und der dritte war ihr Schwarm und die beiden anderen waren eifersüchtig auf ihn. Ich bekam wirklich viel mit, wenn ich mich mal auf die Gedanken einließ. Oh man, die hatten echt lächerliche Probleme. Aber es waren nur Menschen. Ich stieß mich von der Wand ab und wollte schon gehen, als ich einen dumpfen Schlag und ein metallisches Klappern vernahm.
Die raufenden Jungen zogen die Aufmerksamkeit der gesamten Schüler auf sich, doch mein Blick wurde von dem Mädchen auf dem Boden vor den Schließfächern angezogen. Ich schaute mich kurz um, aber sie schien wirklich niemand zu beachten. Plötzlich hatte ich einen unglaublich süßen Duft in der Nase. Ich sah zu dem Mädchen, sie war verletzt, ich roch deutlich ihr Blut. Das Monster in mir wollte heraus, doch mein Verstand war noch zu stark… noch. Aber ich konnte nicht anders, ich musste zu ihr, irgendwas war an ihr was mich anzog. Je näher ich ihr kam, desto intensiver wurde ihr Geruch. Er war unwiderstehlich. Mein Gott, was tat ich hier, ich brachte nicht nur sie in Gefahr sondern auch alle anderen, die hier im Gang waren und vor allem meine Familie. Ich musste mich unter allen Umständen zusammenreißen und durfte meinem inneren Monster nicht nachgeben. Als ich direkt vor dem Mädchen stand, erkannte ich sie.
Bella. Sie hatte die Augen geschlossen und verzog vor Schmerz das Gesicht. Ihre eine Hand hielt ihre Schulter, sie schien verletzt zu sein. Ich legte ihr behutsam eine Hand auf die andere Schulter. Ich wollte sie nicht erschrecken, dennoch fuhr sie zusammen und riss die Augen auf. Offenbar hatte sie starke Schmerzen, gequält stöhnte sie auf.
„Hey Bella, ist alles in Ordnung? Hast du dich verletzt?“, fragte ich sie sanft. Langsam schüttelte sie den Kopf.
„Nein, nichts ist in Ordnung. Meine Schulter schmerzt höllisch und mir ist tierisch schwindelig.“, gab sie leise als Antwort. Sie sah wirklich sehr blass aus. Noch blasser als sonst, sie könnte mir Konkurrenz machen.
Immer noch presste sie ihre Hand auf ihre Schulter. Ich half ihr beim Aufstehen und brachte sie ins Krankenzimmer. Sie presste ihren zierlichen Körper ganz fest an meinen. Bisher war sie mir nur einmal so nahe, doch jetzt nahm ich ihren intensiven, blumigen und süßen Duft noch intensiver wahr. Nie hatte ich etwas Vergleichbares gerochen. Automatisch stellte ich das Atmen ein. Im Krankenzimmer angekommen, setzte ich Bella auf einem Stuhl ab und ging zur Krankenschwester. Kurze Zeit später konnte ich Bella in den Nebenraum bringen.
Sie saß auf einer dieser Krankenhausliegen, die Ärztin vor ihr wollte ihr gerade die Hand von der verletzten Schulter ziehen, als Bella protestierte. Wie unvernünftig konnte sie eigentlich sein? Sie musste doch diese Verletzung behandeln lassen, bevor es zu Entzündungen oder Schlimmeren kam. Ich fragte Mrs. Crane ob ich es einmal versuchen durfte. Sie trat beiseite und ich stellte mich vor Bella. Langsam ließ ich meine Hand ihren Arm hinauf wandern und sah ihr dabei tief in die Augen. Ich wusste von der Wirkung meiner Augenfarbe auf die Menschen und hoffte, dass es bei Bella nicht anders war. Ich machte mir in Moment auch keine Gedanken über die Temperatur meiner Hand und wie Bella darauf reagieren könnte. Meine Hand erreichte ihre Schulter und ich zog die ihre langsam weg.
Aus einem, für mich immer noch unerfindlichen Grund hatte ich genau in diesem Moment Luft geholt, als ihre Hand die Wunde verließ. Dann traf mich der Schlag. Ich konnte förmlich spüren, wie meine Augenfarbe sich von golden zu schwarz verdunkelte, mein Gift schoss mir in den Mund und jeder einzelne meiner Muskeln spannte sich zum Zerreißen. Ihr Blut war mehr als nur verlockend, es zog mich fast magisch an. So sehr hatte ich in meinen ganzen Jahrzehnten als Vampir noch nie auf Menschenblut reagiert. Es war ein überwältigender Duft und wenn ich nicht wollte, dass es hier gleich zwei leergesaugte Frauen gab, sollte ich schleunigst verschwinden. Ich bekam noch mit wie Bella kurz die Augen schloss. Ich nutzte diese Situation um zu gehen, bevor mein inneres Monster die Oberhand gewann. Schnell sagte ich Dr. Crane, dass ich noch etwas vergessen hätte, dann stürmte ich durch die Tür, ohne ihr eine Chance für weitere Fragen zu geben.
Ich lief in schneller, menschlicher Geschwindigkeit nach draußen auf den Parkplatz. Alles was ich jetzt benötigte, war klare und saubere Luft. Kurz überlegte ich in den angrenzenden Wald zu gehen um ein paar Tiere zu jagen. Doch ich entschied mich dagegen, als ich Bella ein paar Minuten später in der Cafeteria sitzen sah. Ich beobachtete sie von draußen. Sie sah immer noch so blass aus. Dennoch schien es ihr soweit gut zu gehen. Ich beschloss ihr etwas Gesellschaft zu leisten, ich war ihr schließlich noch eine Erklärung für mein plötzliches Verschwinden schuldig.
Leise betrat ich die Cafeteria, blieb allerdings am Eingang stehen. Außer Bella und mir war niemand hier, immerhin war noch Unterricht, aber das war mir herzlich egal. Ich bemerkte erst jetzt wie still es hier war. Sonst hatte ich immer irgendwelche Gedanken im Kopf oder musste unfreiwillig Gespräche anderer mit anhören. Doch hier war absolute Ruhe. Ich lehnte mich an die Wand direkt neben der großen Flügeltür und versuchte Bellas Gedanken aufzuschnappen, aber da war rein gar nichts. Bella saß in der hintersten Ecke des Saals und hatte ein Buch in der Hand. Theoretisch müsste ich in ihren Gedanken mitlesen können.
Stille. Nichts als Stille um sie herum. Frustriert gab ich jeden weiteren Versuch auf. Das Buch, welches sie las, sah schon sehr abgegriffen aus, nur schwer konnte ich den Titel entziffern, trotz meiner sehr guten Augen. Es war „Sturmhöhe“. Interessant, nicht viele Teenager ihres Alters lasen solche Klassiker. Ich stand sehr lange unbewegt an der Wand und beobachtete sie. Bella schien mich gar nicht zu bemerken, so sehr war sie in ihr Werk vertieft. Ich beschloss sie nun doch aus ihrer Bücherwelt zu holen, die nächste Stunde begann in wenigen Minuten.
Ich ging langsam auf sie zu. Als sie mich nicht mal bemerkte als ich direkt vor ihr stand, zog ich ihr das Buch aus den Händen. Erschrocken fuhr sie zusammen und presste ihre Hand auf ihr viel zu schnell schlagendes Herz. So eine Reaktion hatte ich nicht erwartet, sie war tiefer in ihrem Buch versunken, als ich dachte. Diese Tatsache ließ mich amüsiert lächeln.
„Na wie geht’s dir, alles wieder gut?“, fragte ich sie, um ein Gespräch zu beginnen.
Ihr Herz hatte sich noch nicht ganz beruhigt, es schlug noch immer nicht im Rhythmus.
„Du tauchst auch immer aus dem Nichts auf, oder!?“, stellte sie eine Gegenfrage und hatte einen anklagenden Blick drauf, welcher mich noch mehr grinsen ließ.
„Du hast meine Frage nicht beantwortet.“, erinnerte ich sie, ohne selbst auf ihre Frage einzugehen.
„Danke es geht wieder.“, gab sie knapp als Antwort. „Aber was machst du hier, hast du nicht Unterricht? Bist du deswegen vorhin einfach gegangen?“, fragte sie weiter. Also hatte sie doch nicht vergessen, dass ich ohne Erklärung abgehauen war. Wie praktisch, sie servierte mir die Antwort auf dem Silbertablett.
„Bella hast du schon mal auf die Uhr geguckt? Gleich fängt die vierte Stunde schon an. Und ja ich musste gehen, ich hatte schließlich Unterricht“, schmunzelte ich.
Erschrocken stellte sie fest, dass ich Recht hatte. Schnell packte sie ihre Sachen zusammen und vergaß offensichtlich ihre Schiene. Ihr Gesicht verzog sich vor Schmerz und sofort machte ich mir wieder Sorgen. Einen Moment dachte ich über meine eigenen Gedanken nach. Wieso lag mir soviel an ihrem Wohl und warum reagierte ich so stark auf ihr Blut? Auch jetzt ließ es mich nicht völlig kalt, bei allen anderen Menschen machte mir der Blutgeruch überhaupt nichts aus. Meine Selbstbeherrschung war fast so groß wie die von Carlisle und das wollte schon etwas heißen.
Ich beendete meine Gedankengänge nach einer Sekunde, Bella hatte nichts davon mitbekommen.
Schnell griff ich nach ihrem Rucksack, bevor sie es tat. Wer wusste schon, was ihr wieder passierte, wenn sie ihn schwungvoll über die Schulter geworfen hätte. Dass sie sich dabei noch mehr verletzte, konnte ich mir sehr gut vorstellen, bei ihrem Glück.
Ich fragte sie dann wo sie jetzt Unterricht hatte. Musik war ihr nächstes Fach. Super, meines auch. Also gingen wir zusammen durch die langen Flure in Richtung Musiksaal.
Bella sah mehr als beeindruckt aus, als wir durch die große Flügeltür traten. Es war auch kein gewöhnlicher Klassenraum mit einer Tafel, Tischen, Stühlen und ein paar Musikinstrumenten. Wenn man hier herein kam, könnte man denken, man wäre im Theater gelandet. Wir hatten eine schöne, großflächige Bühne. Auf ihr standen ein paar Kulissen herum. Ein dicker, weinroter Vorhang trennte die Bühne vom Zuschauerraum. Dort saßen schon einige unserer Mitschüler. Ich führte Bella zu den Sitzen in der ersten Reihe. Kurz nachdem wir saßen, kam auch schon Mr. Mclachlan in gewohnter, zerstreuter Manier in den Saal getänzelt. Es war immer wieder amüsant zu sehen, wie er durch die Gegend rannte, ohne ersichtlichen Plan. Doch das täuschte, er war der bestorganisierte Mensch, den ich je kennen gelernt hatte. Und er hatte wie jedes Jahr wieder ein prallgefülltes Programm für dieses Schuljahr. Ich erzählte Bella leise, wie das in Musik bei uns lief und was wir die letzten Jahre schon so fabriziert hatten. Sie war ein wenig erstaunt, als ich ihr erzählte, dass ich bei unserer Talentshow Klavier gespielt hatte. Wieder musste ich leicht schmunzeln. ‚Ja, kleine Bella, ich stecke voller Geheimnisse und dass ich Klavier spiele, ist noch gar nichts.’
Als Mr. Mclachlan endlich seine ausgesuchten Musicals vorstellte und die Abstimmung lief, wurde mein Grinsen immer breiter. Am Ende hatte sich der Kurs für das Stück `Tanz der Vampire´ entschieden. ‚Welch Ironie.’, dachte ich mir.
Einige Minuten später ging eine Liste herum. Wir sollten uns für unsere Wunschrolle oder einer Aufgabe hinter der Bühne eintragen. Kurz überlegte ich mich für eine Rolle, vielleicht sogar die Hauptrolle einzutragen, aber ich entschied mich dann doch dagegen. Zu viel Aufsehen wollte ich nun auch nicht. Also setzte ich meinen Namen in die Spalte für die Musikgestaltung und reichte die Liste an Bella weiter. Ich kannte sie noch nicht lange genug um einschätzen zu können, wo sie sich eintragen würde, aber ich sah sie nicht in der Hauptrolle, sie strahlte dafür noch zu viel Schüchternheit aus. Doch in Sachen Schüchternheit sollte ich mich bei Bella noch ganz gewaltig täuschen.
Nachdem wir Musik hinter uns gebracht und alle weiteren Termine erhalten hatten, verstreuten sich alle Schüler auf dem Flur. Bella hatte jetzt, wie ich auch, Biologie.
Mr. Banner setzte sie auf den einzigen freien Platz im Raum… welcher neben mir war. Die ganze Stunde beobachtete ich sie aus dem Augenwinkel und wenn ich dies nicht tat sah ich sie direkt an und wir unterhielten uns leise. Sie wollte am Nachmittag auf den Hof kommen und ihre Stute versorgen. Ich bot an, ihr unsere Pferde und den Rest des Hofes zu zeigen. Sie nahm dankend an und von da an verlief der Rest der Stunde ruhig und ich konnte sie wieder von der Seite betrachten. Ihre sanften Gesichtszüge wurden fast vollständig von ihren mahagonifarbenen Locken verdeckt. Die Augen hatte sie aufmerksam nach vorne gerichtet und ihre Hand malte unbewusst kleine Kringel auf ihren Block. Aber am intensivsten nahm ich immer noch ihren Duft wahr. Er war immer da. Mal stärker, wenn sie sich bewegte oder mit mir sprach, mal schwächer. Aber vergessen werde ich diesen verlockenden, blumigen Geruch nie wieder. Dabei hatte ich mich vor ihrer Ankunft hier in Forks so sehr gegen sie gewehrt, doch da wusste ich ja nicht was mich erwartete. Immer diese Vorurteile, ich sollte damit aufhören alles zu bewerten, bevor ich mich nicht vom möglichen Gegenteil überzeugt hatte.
Nach Bio hatten wir Schluss, ich schulterte wieder Bellas Rucksack ehe sie es tat und bot ihr noch an sie mit nach Hause zu nehmen, da wir ja fast Nachbarn waren, doch sie war selber mit ihrem Wagen hier. Auf dem Parkplatz hielt ich kurz inne, so kurz, dass es niemand mitbekam. Sie hatte einen schicken Schlitten. Klar, dass ich das sagte, ich hatte fast denselben. Sie fuhr einen bronzefarbenen Volvo XC90. Meiner war schwarz. Nach den Klassikern, die sie, wie ich auch, gerne las und der Reiterei, eine weitere Gemeinsamkeit.
Sie schloss ihn auf und drehte sich dann zu mir um ihren Rucksack entgegen zu nehmen.
„Wir sehen uns also nachher?“, fragte ich sie und musste beim Anblick ihrer wunderschönen, tiefbraunen Augen wieder lächeln.
„Ja sicher, ich werde da sein.“, antwortete sie. Dann stieg sie in ihren Wagen und startete den Motor. Als sie vom Parkplatz fuhr, winkte sie noch einmal.
Mit einem Lächeln auf den Lippen ging ich auf mein Auto zu, wo schon Alice auf mich wartete. Die anderen hatten noch Unterricht und würden mit Emmetts Jeep nach Hause kommen.
„Dir scheint diese Isabella ja zu gefallen“, meinte Alice. Vergeblich versuchte sie ein Grinsen zu unterdrücken. Ich lächelte sich nur charmant an. Ein Gentleman schweigt und genießt. So hieß es doch oder etwa nicht!? Also stieg ich schweigend ein. Meine kleine Schwester schlüpfte auf den Beifahrersitz und ich rauschte vom Schulgelände. Auf der Landstraße gab ich Vollgas, das brauchte ich jetzt einfach um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Zu ihrem Glück hielt Alice ausnahmsweise mal ihren vorlauten Mund. Ich war sowieso viel zu sehr in meinen Gedanken, als dass ich es bemerkt hätte, wenn sie was wollte.
Zu Hause angekommen, sprang Alice sofort aus meinem Wagen. Sie rief mir noch ein ‚Viel Spaß heute Nachmittag’ zu und war dann verschwunden.
Kopfschüttelnd stieg ich nun auch aus und ging erstmal ins Haus um Esme zu begrüßen.
„Hey Mom.“, sagte ich in normaler Lautstärke. Egal, wo sie in der Villa war, sie würde mich hören.
„Hallo mein Junge.“ Sie kam die Treppe herunter, umarmte mich und gab mir einen Kuss auf die Wange. „Was hast du nachher noch vor?“, fragte sie nach meinen Plänen.
„Bella kommt nachher vorbei um nach ihrem Pferd zu sehen. Bei der Gelegenheit zeige ich ihr ein wenig den Hof und werde sie ein bisschen ausfragen. Mal sehn ob sie überhaupt in unser Team passt.“ Ich unterhielt mich noch eine Weile mit ihr über meine Nachmittagsplanung und verschwand dann nach draußen auf den Hof.
Als erstes musste ich nach meinem Twilight sehen, das war schon eine Art Ritual. Wenn ich aus der Schule kam, ging mein erster Weg, nach Esme, meist dort hin. Mein Pferd bedeutete mir alles, er war mein Freund und Partner im Sport. Zusammen waren wir unschlagbar. Twilight war mein ein und alles, schon als er erst einen Tag alt war, zogen mich seine tiefschwarzen, klugen Augen magisch an. Als Fohlen war er noch schwarz wie die Nacht und wäre er so geblieben, hätte ich nun den schönsten Rappen den die Welt je gesehen hätte, doch als Jährling bekam sein Fell hellere Flecken und nun mit fünf war er der schönste Apfelschimmel. Er war einfach eine Augenweide.
„Einen Dollar für deine Gedanken.“
Erschrocken fuhr ich innerlich zusammen. Oh Gott wann hatte ich mich das letzte Mal so erschrocken, das kam äußerst selten bei mir vor, da sich die meisten schon durch ihre Gedanken ankündigten. Doch bei Bella war wieder nur diese verdammte Stille.
Ich drehte mich zu ihr und lehnte mich lässig an die Boxentür. Unauffällig betrachtete ich sie von oben bis unten, sie war auf jeden Fall stalltauglicher gekleidet, als am Tag ihrer Ankunft. Ihre Reithose lag eng an ihren schlanken Beinen. Über einem schlichen Top hatte sie eine karierte Bluse gezogen und ihre Füße steckten in modischen Reitstiefeln. Sie hatte doch wohl nicht vor mit ihrer verletzten Schulter reiten zu wollen. Na davon würde ich sie schon abzuhalten wissen. Nur über meine Leiche, stieg sie heute auf ein Pferd. Und bis ich eine Leiche war, verging noch eine geschätzte Ewigkeit.
„Hey, ich hatte dich jetzt noch gar nicht erwartet.“, sagte ich, nachdem ich mich von ihrem Körper losreißen konnte.
„Ich hatte Sehnsucht.“, gab sie schlicht wieder. Wie jetzt, Sehnsucht?
„Ich musste unbedingt zu meiner Süßen.“, setzte sie hinzu. „Und ich wollte mir die anderen Pferde gerne ansehen, wenn ich darf.“
Ich hatte mich mittlerweile auch wieder gefangen.
„Na sicher darfst du, komm mit ich zeig dir alles.“
„Ok, danke dir. Also fangen wir doch gleich hier an. Wer ist dieses Prachtstück hinter dir.“, fragte sie und deutete über meine Schulter in die Box.
„Das ist Twilight. Er ist mein Wallach, mit ihm reite ich die Vielseitigkeitsturniere.“
„Der ist echt schick. Wie alt ist er denn?“
„Er ist jetzt fünf, aber schon ein ganz Großer.“, antwortete ich ihr stolz.
Ich zeigte ihr noch Emmetts Breaking Dawn, Rosalies New Moon und Jaspers Eternity, welche auch mit Twilight und Eclipse in Stall standen. Wir hatten noch einen zweiten Stall, dort standen unsere Zuchtpferde, drei Hengste und sieben Stuten mit ihren Fohlen. Daneben befanden sich das große Dressurviereck und ein etwas kleinerer Springplatz mit 14 verschiedenen Hindernissen. Wir hatten auf unserem Gelände auch eine 5 km lange Geländestrecke zum Trainieren. Nachdem wir alles besichtig hatten, lief sie wieder in den Stall. Am Ende des Komplexes war die großräumige Sattelkammer. Jeder Sattel, jede Trense und jeder andere Gegenstand hatte hier seinen angestammten Platz und war beschriftet. Auch Bellas Ausrüstung hatte schon ihren Platz gefunden. Zielsicher griff sie nach ihrem Putzkasten und brachte ihn vor die Box ihrer Stute. Dann lief sie an mir vorbei zurück in die Sattelkammer und holte Gamaschen und eine Westerntrense. Die Trense hängte sie über die dafür vorgesehene Halterung neben der Box und die Gamaschen schmiss sie in die Putzbox. Sie lief nun zum wiederholten Mal an mir vorbei. Ich höre sie leise stöhnen und ging langsam in die Sattelkammer. Dort lehnte ich mich mit vor der Brust verschränkten Armen in den Türrahmen und beobachtete skeptisch ihren Versuch ihren schweren Westernsattel vom Sattelbock zu hieven.
„Was hast du vor, Bella?“, fragte ich leicht irritiert. Sie wollte doch nicht wirklich reiten mit ihrer verletzten Schulter?
„Na wonach sieht es denn aus?“, stellte sie genervt die Gegenfrage.
„Du willst doch nicht etwa reiten mit deiner Verletzung?“
„Doch genau das habe ich vor, schließlich brauch ich zum Westernreiten nur eine Hand und außerdem ist Eclipse seit 3 Tagen nicht mehr geritten worden.“, erklärte sie.
„Aber was ist wenn du stürzt oder dich verreitest? Du kennst dich hier nicht aus.“
„Na dann komm mit und zeig mir ein wenig die Gegend. Und falls ich stürzen sollte, was selten vorkommt, kannst du mich ja wieder retten.“ Sie schaute mich schmunzelnd und gleichzeitig fragend an. Ihre Entscheidung stand also und durch ihren Sturkopf, den sie scheinbar hatte, konnte ich sie auch nicht mehr davon abbringen. Also half ich hier mit dem Sattel und sagte zu sie zu begleiten.
„Brauchst du noch Hilfe beim fertig machen?“, fragte ich als wir wieder an der Boxentür standen.
„Nein, danke ich schaff das schon, mach ich schließlich nicht zum ersten Mal“, sagte sie spitz. Ich hob abwehren die Hände und lief wieder in die Sattelkammer, um mir die Sachen von Twilight zu holen. Schnell war mein Schimmelwallach sauber und gesattelt. Ich schaute rüber in Eclipses Box. Bella hatte sie schon getrenst und wollte nun nach dem Sattel greifen. Innerhalb einer Sekunde war ich an der Box und griff nach dem Sattel.
„Meinst du nicht, dass ich das machen sollte, die Teile können selbst mit zwei Händen schwer sein.“, sagte ich schelmisch.
„Ähm…ja, danke.“, gab sie leise wieder und ihre Wangen färbten sich zartrosa. Ich lächelte leicht und legte den Sattel vorsichtig auf den Rücken der dunkelbraunen Stute. Sie tänzelte ein wenig zur Seite, doch die sanften Worte von Bella beruhigten sie wieder und sie ließ sich ohne weitere Probleme satteln.
Ein paar Minuten später führten wir unsere Pferde nach draußen. Ich band Twilight an den Putzplatz um Bella beim Aufsitzen zu helfen. Sie hatte sich ihren schwarzen Westernhut aufgesetzt und saß ein paar Sekunden später im Sattel und nahm die Zügel in eine Hand. So wie sie da auf ihrem Pferd saß, sah sie unglaublich aus. Elegant und im perfekten Westernstil. Ich durfte gar nicht daran denken wie es aussähe wenn sie englisch ritt. Das würde sicher noch eine Spur besser und heißer aussehen. Schnell schüttelte ich diesen Gedanken ab und ging hinüber zu meinem Wallach, band ihn los, nahm die schwarzen Lederzügel in die linke Hand, setzte den linken Fuß in den Bügen und schwang mich locker auf seinen Rücken. Ich sah zu Bella hinüber und traf auf ihre endlos tiefen, rehbraunen Augen. Ich musste leicht schmunzeln bei ihrem Anblick.
„Atmen, Bella!“, sagte ich um sie aus ihrer Starre zu holen. Sie sah schnell weg und errötete wieder, was mich noch mehr zum Schmunzeln brachte.
Ich legte leicht meine Schenkel an den Bauch meines Pferdes und schon setzte er sich in Bewegung. Auch Bella gab Eclipse das Signal zum Schritt und war kurz nachdem wir den Hof Richtung Wald verließen, neben mir. Ich schaute kurz zu ihr hinüber. Sie saß ganz entspannt im Sattel. Man sah ihr gar nicht an, dass sie eigentlich im englischen Stil ritt. Sie überraschte mich immer wieder. Es wunderte mich auch, dass ihr anscheinend die natürliche Schau fehlte, mit der uns die Menschen begegneten. Sie zeigte bisher keinerlei Angst oder Unbehagen. Na ja, also entweder war sie unheimlich furchtlos und hatte keinen Selbsterhaltungstrieb oder sie war zu naiv und die Gefahr zu erkennen. Aber so wollte ich nicht von ihr denken. Zwar war ich zuerst abgeneigt sie auf dem Hof und vielleicht sogar im Team zu haben, aber ich hatte nun mal meine Vorurteile, die dazu da waren um sie zu widerlegen und genau das tat Bella gerade. Eigentlich hatte ich nie geplant sie so sehr in meine Nähe zu lassen, doch irgendetwas faszinierte mich an ihr. Es war nicht nur die Stille ihrer Gedanken oder ihr unbeschreiblich, berauschender Duft. Nein, da war noch etwas anderes, etwas, was ich noch nicht benennen konnte.
Nach einiger Zeit, in der wir still nebeneinander geritten waren, kamen wir an eine Gabelung im Wald. Ich schlug ohne nachzudenken den rechten Weg ein und Bella folgte mir.
„Wo reiten wir eigentlich hin?“, fragte sie. Mich wunderte, dass sie das nicht schon früher gefragt hatte.
„Ich habe vor ein paar Monaten ein hübsches Plätzchen gefunden.“, antwortete ich ihr.
„Aha und was soll das für ein Plätzchen sein?“
„Wirst du gleich sehen“, gab ich zurück und drückte meine Schenkel etwas an Twilights Bauch und prompt setzte er zum Trab an.
„Hey, warte!“, rief Bella mir hinterher und galoppierte kurz an um wieder zu mir aufzuschließen. Ich lachte leise auf, trabte aber weiter ohne auf sie zu achten. Still trabten wir weiter. Keiner wusste im Moment was er sagen sollte. Aber es war auch keine unangenehme Ruhe. Bella schaute immer wieder nach links und rechts in den dichten Wald und dann wieder nach vorne. Sie versuchte sich wohl den Weg zu merken.
Ich sah ein paar Meter vor uns einen dünnen Baumstamm liegen und dachte erst daran einfach zu springen, aber dann fiel mir Bellas Verletzung wieder ein und ich wollte kein Risiko eingehen, falls sie auf die grandiose Idee käme mir zu folgen. Ich fand es schon nicht gut, dass sie überhaupt auf einem Pferd saß, aber springen würde zu weit gehen und das auch noch mit Westernsattel. Aber kaum hatte ich diesen Gedanken zu Ende gedacht galoppierte Eclipse mit Bella an mir vorbei, direkt auf den Baumstamm zu. Nein, sie würde doch wohl nicht… doch sie würde und sie tat es auch. Leichtfüßig galoppierte die dunkelbraune Stute auf das Naturhindernis zu und setzte zum Sprung an. Ich konnte fast nicht hinsehen, doch zu meiner Erleichterung schaffte sie den Sprung ohne Bekanntschaft mit dem Boden zu machen. Ich musste mich kurz sammeln und ließ auch Twilight angaloppieren. Mit Leichtigkeit überwanden wir den kleinen Baumstamm und folgten Bella, die noch ein Stück weiter geritten war. Als ich näher kam, sah ich ihr strahlendes Gesicht.
„Das war echt super, ich bin schon so lange nicht mehr im Gelände gewesen. Das Gefühl über dem Sprung war der Wahnsinn.“, plapperte sie begeistert los. Sie ließ ein melodisches Lachen hören und steckte mich mit an. Die Stimmung zwischen uns war nun etwas gelöster. Wir ritten weiter und plauderten nebenbei über Gott und die Welt. Die meiste Zeit fragte ich sie über ihre Kindheit aus. Ich erfuhr, dass sie mit 5 Jahren anfing zu reiten und schon immer auf Turnieren starten und sich mit anderen messen wollte. Sie erzählte mir von dem Kauf von Eclipse, sie meinte es wäre Liebe auf den ersten Blick gewesen. Das konnte ich nur zu gut verstehen, Eclipse war eine wunderschöne Stute.
Als wir kurz vor dem Ziel waren, bat ich Bella die Augen zu schließen und mir die Zügel zu geben. Etwas verwirrt schaute sie mich an, ließ sich aber darauf ein und gab mir die Zügel. Ich führte Eclipse auf eine große, mit Blumen übersäte Lichtung. Sie befand sich mitten im Wald und war nur zu Fuß oder mit dem Pferd zu erreichen.
„Du kannst die Augen wieder öffnen.“, sagte ich leise. Bella schlug langsam ihre Augen auf und ein leises Keuchen kam aus ihrem Mund. Sie überblickte mit großen Augen die gesamte Lichtung. Ich beobachtete ihre Reaktion, tausende Emotionen konnte ich in ihrem Gesicht ablesen. Wenn schon ihre Gedanken stumm waren, so konnte ich in ihrem Gesicht wie in einem offenen Buch lesen. Unglaube, Faszination und Überwältigung, das waren die stärksten Ausdrücke. Doch ich fand auch eine Spur Traurigkeit. Was hatte das zu bedeuten?
Ihr Mund öffnete sich leicht und schloss sich gleich wieder. Sie war sprachlos. Ich führte sie noch ein Stück weiter zur Mitte und stieg dann ab. Twilight ließ ich einfach stehen, er würde dort bleiben und höchstens seinen Kopf in dem saftigen Gras versenken. Bella betrachtet immer noch ehrfürchtig diesen wunderschönen Ort, als ich schon neben ihrem Pferd stand und ihr die Hand bot, damit sie absteigen konnte. Wie in Trance ließ sich Bella von mir vom Pferd helfen.
„Wow.“ Das war das einzige was sie im Moment leise hervorbrachte. Ich lächelte und zog sie etwas von den Pferden weg. Ich ließ mich in das trockene Gras fallen. Bella ging noch ein paar Schritt und strich schon fast zärtlich über die blauen Blumen, welche diesen Ort eine mystische Atmosphäre gaben. Ich ließ sie nicht eine Sekunde aus den Augen. Sie hatte immer noch nicht wirklich etwas gesagt, es verunsicherte mich. War es falsch sie hierher zu bringen? Ich dachte ihr würde es hier gefallen. Sie hatte mir die ganze Zeit den Rücken zugedreht, doch nun drehte sie sich zu mir um. Meine Sorge stieg noch weiter als ich die Tränen in ihren Augen sah.
Was war los mit ihr?
Es sollte heute nicht einer dieser üblichen Schultage werden. Langweilig bis zum-geht-nicht-mehr. Immer dasselbe Schema. Immer dieselben Leute. Immer dieselben, primitiven Gedanken. Nein, heute war etwas anders und ich wusste auch ohne Gedanken lesen zu können, was es war.
Bella.
Es kam nicht oft an dieser Schule vor, dass neue Schüler kamen. Und dann auch noch so Hübsche. Das wussten die hormongesteuerten Jungen hier natürlich noch nicht, aber ihre Fantasie formte ein Mädchen nach ihren Wunschvorstellungen. Absurd, keiner kam auch nur in die Nähe des Originals.
Kopfschüttelnd setzte ich meinen Weg Richtung Chemieraum fort. Ich kam durch einen der schmaleren Flure und schon von weitem konnte ich das Stimmengewirr vernehmen. Etwas abseits des Geschehens lehnte ich mich lässig an eine Wand und beobachtete das kindische Treiben im Flur. Einige der pubertierenden Jungen hatten wieder mal ihre Hormone nicht im Griff und stritten sich um ein Mädchen. Einer war mal ihr Exfreund, wollte aber noch was von ihr. Der nächste war auch in sie verknallt und der dritte war ihr Schwarm und die beiden anderen waren eifersüchtig auf ihn. Ich bekam wirklich viel mit, wenn ich mich mal auf die Gedanken einließ. Oh man, die hatten echt lächerliche Probleme. Aber es waren nur Menschen. Ich stieß mich von der Wand ab und wollte schon gehen, als ich einen dumpfen Schlag und ein metallisches Klappern vernahm.
Die raufenden Jungen zogen die Aufmerksamkeit der gesamten Schüler auf sich, doch mein Blick wurde von dem Mädchen auf dem Boden vor den Schließfächern angezogen. Ich schaute mich kurz um, aber sie schien wirklich niemand zu beachten. Plötzlich hatte ich einen unglaublich süßen Duft in der Nase. Ich sah zu dem Mädchen, sie war verletzt, ich roch deutlich ihr Blut. Das Monster in mir wollte heraus, doch mein Verstand war noch zu stark… noch. Aber ich konnte nicht anders, ich musste zu ihr, irgendwas war an ihr was mich anzog. Je näher ich ihr kam, desto intensiver wurde ihr Geruch. Er war unwiderstehlich. Mein Gott, was tat ich hier, ich brachte nicht nur sie in Gefahr sondern auch alle anderen, die hier im Gang waren und vor allem meine Familie. Ich musste mich unter allen Umständen zusammenreißen und durfte meinem inneren Monster nicht nachgeben. Als ich direkt vor dem Mädchen stand, erkannte ich sie.
Bella. Sie hatte die Augen geschlossen und verzog vor Schmerz das Gesicht. Ihre eine Hand hielt ihre Schulter, sie schien verletzt zu sein. Ich legte ihr behutsam eine Hand auf die andere Schulter. Ich wollte sie nicht erschrecken, dennoch fuhr sie zusammen und riss die Augen auf. Offenbar hatte sie starke Schmerzen, gequält stöhnte sie auf.
„Hey Bella, ist alles in Ordnung? Hast du dich verletzt?“, fragte ich sie sanft. Langsam schüttelte sie den Kopf.
„Nein, nichts ist in Ordnung. Meine Schulter schmerzt höllisch und mir ist tierisch schwindelig.“, gab sie leise als Antwort. Sie sah wirklich sehr blass aus. Noch blasser als sonst, sie könnte mir Konkurrenz machen.
Immer noch presste sie ihre Hand auf ihre Schulter. Ich half ihr beim Aufstehen und brachte sie ins Krankenzimmer. Sie presste ihren zierlichen Körper ganz fest an meinen. Bisher war sie mir nur einmal so nahe, doch jetzt nahm ich ihren intensiven, blumigen und süßen Duft noch intensiver wahr. Nie hatte ich etwas Vergleichbares gerochen. Automatisch stellte ich das Atmen ein. Im Krankenzimmer angekommen, setzte ich Bella auf einem Stuhl ab und ging zur Krankenschwester. Kurze Zeit später konnte ich Bella in den Nebenraum bringen.
Sie saß auf einer dieser Krankenhausliegen, die Ärztin vor ihr wollte ihr gerade die Hand von der verletzten Schulter ziehen, als Bella protestierte. Wie unvernünftig konnte sie eigentlich sein? Sie musste doch diese Verletzung behandeln lassen, bevor es zu Entzündungen oder Schlimmeren kam. Ich fragte Mrs. Crane ob ich es einmal versuchen durfte. Sie trat beiseite und ich stellte mich vor Bella. Langsam ließ ich meine Hand ihren Arm hinauf wandern und sah ihr dabei tief in die Augen. Ich wusste von der Wirkung meiner Augenfarbe auf die Menschen und hoffte, dass es bei Bella nicht anders war. Ich machte mir in Moment auch keine Gedanken über die Temperatur meiner Hand und wie Bella darauf reagieren könnte. Meine Hand erreichte ihre Schulter und ich zog die ihre langsam weg.
Aus einem, für mich immer noch unerfindlichen Grund hatte ich genau in diesem Moment Luft geholt, als ihre Hand die Wunde verließ. Dann traf mich der Schlag. Ich konnte förmlich spüren, wie meine Augenfarbe sich von golden zu schwarz verdunkelte, mein Gift schoss mir in den Mund und jeder einzelne meiner Muskeln spannte sich zum Zerreißen. Ihr Blut war mehr als nur verlockend, es zog mich fast magisch an. So sehr hatte ich in meinen ganzen Jahrzehnten als Vampir noch nie auf Menschenblut reagiert. Es war ein überwältigender Duft und wenn ich nicht wollte, dass es hier gleich zwei leergesaugte Frauen gab, sollte ich schleunigst verschwinden. Ich bekam noch mit wie Bella kurz die Augen schloss. Ich nutzte diese Situation um zu gehen, bevor mein inneres Monster die Oberhand gewann. Schnell sagte ich Dr. Crane, dass ich noch etwas vergessen hätte, dann stürmte ich durch die Tür, ohne ihr eine Chance für weitere Fragen zu geben.
Ich lief in schneller, menschlicher Geschwindigkeit nach draußen auf den Parkplatz. Alles was ich jetzt benötigte, war klare und saubere Luft. Kurz überlegte ich in den angrenzenden Wald zu gehen um ein paar Tiere zu jagen. Doch ich entschied mich dagegen, als ich Bella ein paar Minuten später in der Cafeteria sitzen sah. Ich beobachtete sie von draußen. Sie sah immer noch so blass aus. Dennoch schien es ihr soweit gut zu gehen. Ich beschloss ihr etwas Gesellschaft zu leisten, ich war ihr schließlich noch eine Erklärung für mein plötzliches Verschwinden schuldig.
Leise betrat ich die Cafeteria, blieb allerdings am Eingang stehen. Außer Bella und mir war niemand hier, immerhin war noch Unterricht, aber das war mir herzlich egal. Ich bemerkte erst jetzt wie still es hier war. Sonst hatte ich immer irgendwelche Gedanken im Kopf oder musste unfreiwillig Gespräche anderer mit anhören. Doch hier war absolute Ruhe. Ich lehnte mich an die Wand direkt neben der großen Flügeltür und versuchte Bellas Gedanken aufzuschnappen, aber da war rein gar nichts. Bella saß in der hintersten Ecke des Saals und hatte ein Buch in der Hand. Theoretisch müsste ich in ihren Gedanken mitlesen können.
Stille. Nichts als Stille um sie herum. Frustriert gab ich jeden weiteren Versuch auf. Das Buch, welches sie las, sah schon sehr abgegriffen aus, nur schwer konnte ich den Titel entziffern, trotz meiner sehr guten Augen. Es war „Sturmhöhe“. Interessant, nicht viele Teenager ihres Alters lasen solche Klassiker. Ich stand sehr lange unbewegt an der Wand und beobachtete sie. Bella schien mich gar nicht zu bemerken, so sehr war sie in ihr Werk vertieft. Ich beschloss sie nun doch aus ihrer Bücherwelt zu holen, die nächste Stunde begann in wenigen Minuten.
Ich ging langsam auf sie zu. Als sie mich nicht mal bemerkte als ich direkt vor ihr stand, zog ich ihr das Buch aus den Händen. Erschrocken fuhr sie zusammen und presste ihre Hand auf ihr viel zu schnell schlagendes Herz. So eine Reaktion hatte ich nicht erwartet, sie war tiefer in ihrem Buch versunken, als ich dachte. Diese Tatsache ließ mich amüsiert lächeln.
„Na wie geht’s dir, alles wieder gut?“, fragte ich sie, um ein Gespräch zu beginnen.
Ihr Herz hatte sich noch nicht ganz beruhigt, es schlug noch immer nicht im Rhythmus.
„Du tauchst auch immer aus dem Nichts auf, oder!?“, stellte sie eine Gegenfrage und hatte einen anklagenden Blick drauf, welcher mich noch mehr grinsen ließ.
„Du hast meine Frage nicht beantwortet.“, erinnerte ich sie, ohne selbst auf ihre Frage einzugehen.
„Danke es geht wieder.“, gab sie knapp als Antwort. „Aber was machst du hier, hast du nicht Unterricht? Bist du deswegen vorhin einfach gegangen?“, fragte sie weiter. Also hatte sie doch nicht vergessen, dass ich ohne Erklärung abgehauen war. Wie praktisch, sie servierte mir die Antwort auf dem Silbertablett.
„Bella hast du schon mal auf die Uhr geguckt? Gleich fängt die vierte Stunde schon an. Und ja ich musste gehen, ich hatte schließlich Unterricht“, schmunzelte ich.
Erschrocken stellte sie fest, dass ich Recht hatte. Schnell packte sie ihre Sachen zusammen und vergaß offensichtlich ihre Schiene. Ihr Gesicht verzog sich vor Schmerz und sofort machte ich mir wieder Sorgen. Einen Moment dachte ich über meine eigenen Gedanken nach. Wieso lag mir soviel an ihrem Wohl und warum reagierte ich so stark auf ihr Blut? Auch jetzt ließ es mich nicht völlig kalt, bei allen anderen Menschen machte mir der Blutgeruch überhaupt nichts aus. Meine Selbstbeherrschung war fast so groß wie die von Carlisle und das wollte schon etwas heißen.
Ich beendete meine Gedankengänge nach einer Sekunde, Bella hatte nichts davon mitbekommen.
Schnell griff ich nach ihrem Rucksack, bevor sie es tat. Wer wusste schon, was ihr wieder passierte, wenn sie ihn schwungvoll über die Schulter geworfen hätte. Dass sie sich dabei noch mehr verletzte, konnte ich mir sehr gut vorstellen, bei ihrem Glück.
Ich fragte sie dann wo sie jetzt Unterricht hatte. Musik war ihr nächstes Fach. Super, meines auch. Also gingen wir zusammen durch die langen Flure in Richtung Musiksaal.
Bella sah mehr als beeindruckt aus, als wir durch die große Flügeltür traten. Es war auch kein gewöhnlicher Klassenraum mit einer Tafel, Tischen, Stühlen und ein paar Musikinstrumenten. Wenn man hier herein kam, könnte man denken, man wäre im Theater gelandet. Wir hatten eine schöne, großflächige Bühne. Auf ihr standen ein paar Kulissen herum. Ein dicker, weinroter Vorhang trennte die Bühne vom Zuschauerraum. Dort saßen schon einige unserer Mitschüler. Ich führte Bella zu den Sitzen in der ersten Reihe. Kurz nachdem wir saßen, kam auch schon Mr. Mclachlan in gewohnter, zerstreuter Manier in den Saal getänzelt. Es war immer wieder amüsant zu sehen, wie er durch die Gegend rannte, ohne ersichtlichen Plan. Doch das täuschte, er war der bestorganisierte Mensch, den ich je kennen gelernt hatte. Und er hatte wie jedes Jahr wieder ein prallgefülltes Programm für dieses Schuljahr. Ich erzählte Bella leise, wie das in Musik bei uns lief und was wir die letzten Jahre schon so fabriziert hatten. Sie war ein wenig erstaunt, als ich ihr erzählte, dass ich bei unserer Talentshow Klavier gespielt hatte. Wieder musste ich leicht schmunzeln. ‚Ja, kleine Bella, ich stecke voller Geheimnisse und dass ich Klavier spiele, ist noch gar nichts.’
Als Mr. Mclachlan endlich seine ausgesuchten Musicals vorstellte und die Abstimmung lief, wurde mein Grinsen immer breiter. Am Ende hatte sich der Kurs für das Stück `Tanz der Vampire´ entschieden. ‚Welch Ironie.’, dachte ich mir.
Einige Minuten später ging eine Liste herum. Wir sollten uns für unsere Wunschrolle oder einer Aufgabe hinter der Bühne eintragen. Kurz überlegte ich mich für eine Rolle, vielleicht sogar die Hauptrolle einzutragen, aber ich entschied mich dann doch dagegen. Zu viel Aufsehen wollte ich nun auch nicht. Also setzte ich meinen Namen in die Spalte für die Musikgestaltung und reichte die Liste an Bella weiter. Ich kannte sie noch nicht lange genug um einschätzen zu können, wo sie sich eintragen würde, aber ich sah sie nicht in der Hauptrolle, sie strahlte dafür noch zu viel Schüchternheit aus. Doch in Sachen Schüchternheit sollte ich mich bei Bella noch ganz gewaltig täuschen.
Nachdem wir Musik hinter uns gebracht und alle weiteren Termine erhalten hatten, verstreuten sich alle Schüler auf dem Flur. Bella hatte jetzt, wie ich auch, Biologie.
Mr. Banner setzte sie auf den einzigen freien Platz im Raum… welcher neben mir war. Die ganze Stunde beobachtete ich sie aus dem Augenwinkel und wenn ich dies nicht tat sah ich sie direkt an und wir unterhielten uns leise. Sie wollte am Nachmittag auf den Hof kommen und ihre Stute versorgen. Ich bot an, ihr unsere Pferde und den Rest des Hofes zu zeigen. Sie nahm dankend an und von da an verlief der Rest der Stunde ruhig und ich konnte sie wieder von der Seite betrachten. Ihre sanften Gesichtszüge wurden fast vollständig von ihren mahagonifarbenen Locken verdeckt. Die Augen hatte sie aufmerksam nach vorne gerichtet und ihre Hand malte unbewusst kleine Kringel auf ihren Block. Aber am intensivsten nahm ich immer noch ihren Duft wahr. Er war immer da. Mal stärker, wenn sie sich bewegte oder mit mir sprach, mal schwächer. Aber vergessen werde ich diesen verlockenden, blumigen Geruch nie wieder. Dabei hatte ich mich vor ihrer Ankunft hier in Forks so sehr gegen sie gewehrt, doch da wusste ich ja nicht was mich erwartete. Immer diese Vorurteile, ich sollte damit aufhören alles zu bewerten, bevor ich mich nicht vom möglichen Gegenteil überzeugt hatte.
Nach Bio hatten wir Schluss, ich schulterte wieder Bellas Rucksack ehe sie es tat und bot ihr noch an sie mit nach Hause zu nehmen, da wir ja fast Nachbarn waren, doch sie war selber mit ihrem Wagen hier. Auf dem Parkplatz hielt ich kurz inne, so kurz, dass es niemand mitbekam. Sie hatte einen schicken Schlitten. Klar, dass ich das sagte, ich hatte fast denselben. Sie fuhr einen bronzefarbenen Volvo XC90. Meiner war schwarz. Nach den Klassikern, die sie, wie ich auch, gerne las und der Reiterei, eine weitere Gemeinsamkeit.
Sie schloss ihn auf und drehte sich dann zu mir um ihren Rucksack entgegen zu nehmen.
„Wir sehen uns also nachher?“, fragte ich sie und musste beim Anblick ihrer wunderschönen, tiefbraunen Augen wieder lächeln.
„Ja sicher, ich werde da sein.“, antwortete sie. Dann stieg sie in ihren Wagen und startete den Motor. Als sie vom Parkplatz fuhr, winkte sie noch einmal.
Mit einem Lächeln auf den Lippen ging ich auf mein Auto zu, wo schon Alice auf mich wartete. Die anderen hatten noch Unterricht und würden mit Emmetts Jeep nach Hause kommen.
„Dir scheint diese Isabella ja zu gefallen“, meinte Alice. Vergeblich versuchte sie ein Grinsen zu unterdrücken. Ich lächelte sich nur charmant an. Ein Gentleman schweigt und genießt. So hieß es doch oder etwa nicht!? Also stieg ich schweigend ein. Meine kleine Schwester schlüpfte auf den Beifahrersitz und ich rauschte vom Schulgelände. Auf der Landstraße gab ich Vollgas, das brauchte ich jetzt einfach um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Zu ihrem Glück hielt Alice ausnahmsweise mal ihren vorlauten Mund. Ich war sowieso viel zu sehr in meinen Gedanken, als dass ich es bemerkt hätte, wenn sie was wollte.
Zu Hause angekommen, sprang Alice sofort aus meinem Wagen. Sie rief mir noch ein ‚Viel Spaß heute Nachmittag’ zu und war dann verschwunden.
Kopfschüttelnd stieg ich nun auch aus und ging erstmal ins Haus um Esme zu begrüßen.
„Hey Mom.“, sagte ich in normaler Lautstärke. Egal, wo sie in der Villa war, sie würde mich hören.
„Hallo mein Junge.“ Sie kam die Treppe herunter, umarmte mich und gab mir einen Kuss auf die Wange. „Was hast du nachher noch vor?“, fragte sie nach meinen Plänen.
„Bella kommt nachher vorbei um nach ihrem Pferd zu sehen. Bei der Gelegenheit zeige ich ihr ein wenig den Hof und werde sie ein bisschen ausfragen. Mal sehn ob sie überhaupt in unser Team passt.“ Ich unterhielt mich noch eine Weile mit ihr über meine Nachmittagsplanung und verschwand dann nach draußen auf den Hof.
Als erstes musste ich nach meinem Twilight sehen, das war schon eine Art Ritual. Wenn ich aus der Schule kam, ging mein erster Weg, nach Esme, meist dort hin. Mein Pferd bedeutete mir alles, er war mein Freund und Partner im Sport. Zusammen waren wir unschlagbar. Twilight war mein ein und alles, schon als er erst einen Tag alt war, zogen mich seine tiefschwarzen, klugen Augen magisch an. Als Fohlen war er noch schwarz wie die Nacht und wäre er so geblieben, hätte ich nun den schönsten Rappen den die Welt je gesehen hätte, doch als Jährling bekam sein Fell hellere Flecken und nun mit fünf war er der schönste Apfelschimmel. Er war einfach eine Augenweide.
„Einen Dollar für deine Gedanken.“
Erschrocken fuhr ich innerlich zusammen. Oh Gott wann hatte ich mich das letzte Mal so erschrocken, das kam äußerst selten bei mir vor, da sich die meisten schon durch ihre Gedanken ankündigten. Doch bei Bella war wieder nur diese verdammte Stille.
Ich drehte mich zu ihr und lehnte mich lässig an die Boxentür. Unauffällig betrachtete ich sie von oben bis unten, sie war auf jeden Fall stalltauglicher gekleidet, als am Tag ihrer Ankunft. Ihre Reithose lag eng an ihren schlanken Beinen. Über einem schlichen Top hatte sie eine karierte Bluse gezogen und ihre Füße steckten in modischen Reitstiefeln. Sie hatte doch wohl nicht vor mit ihrer verletzten Schulter reiten zu wollen. Na davon würde ich sie schon abzuhalten wissen. Nur über meine Leiche, stieg sie heute auf ein Pferd. Und bis ich eine Leiche war, verging noch eine geschätzte Ewigkeit.
„Hey, ich hatte dich jetzt noch gar nicht erwartet.“, sagte ich, nachdem ich mich von ihrem Körper losreißen konnte.
„Ich hatte Sehnsucht.“, gab sie schlicht wieder. Wie jetzt, Sehnsucht?
„Ich musste unbedingt zu meiner Süßen.“, setzte sie hinzu. „Und ich wollte mir die anderen Pferde gerne ansehen, wenn ich darf.“
Ich hatte mich mittlerweile auch wieder gefangen.
„Na sicher darfst du, komm mit ich zeig dir alles.“
„Ok, danke dir. Also fangen wir doch gleich hier an. Wer ist dieses Prachtstück hinter dir.“, fragte sie und deutete über meine Schulter in die Box.
„Das ist Twilight. Er ist mein Wallach, mit ihm reite ich die Vielseitigkeitsturniere.“
„Der ist echt schick. Wie alt ist er denn?“
„Er ist jetzt fünf, aber schon ein ganz Großer.“, antwortete ich ihr stolz.
Ich zeigte ihr noch Emmetts Breaking Dawn, Rosalies New Moon und Jaspers Eternity, welche auch mit Twilight und Eclipse in Stall standen. Wir hatten noch einen zweiten Stall, dort standen unsere Zuchtpferde, drei Hengste und sieben Stuten mit ihren Fohlen. Daneben befanden sich das große Dressurviereck und ein etwas kleinerer Springplatz mit 14 verschiedenen Hindernissen. Wir hatten auf unserem Gelände auch eine 5 km lange Geländestrecke zum Trainieren. Nachdem wir alles besichtig hatten, lief sie wieder in den Stall. Am Ende des Komplexes war die großräumige Sattelkammer. Jeder Sattel, jede Trense und jeder andere Gegenstand hatte hier seinen angestammten Platz und war beschriftet. Auch Bellas Ausrüstung hatte schon ihren Platz gefunden. Zielsicher griff sie nach ihrem Putzkasten und brachte ihn vor die Box ihrer Stute. Dann lief sie an mir vorbei zurück in die Sattelkammer und holte Gamaschen und eine Westerntrense. Die Trense hängte sie über die dafür vorgesehene Halterung neben der Box und die Gamaschen schmiss sie in die Putzbox. Sie lief nun zum wiederholten Mal an mir vorbei. Ich höre sie leise stöhnen und ging langsam in die Sattelkammer. Dort lehnte ich mich mit vor der Brust verschränkten Armen in den Türrahmen und beobachtete skeptisch ihren Versuch ihren schweren Westernsattel vom Sattelbock zu hieven.
„Was hast du vor, Bella?“, fragte ich leicht irritiert. Sie wollte doch nicht wirklich reiten mit ihrer verletzten Schulter?
„Na wonach sieht es denn aus?“, stellte sie genervt die Gegenfrage.
„Du willst doch nicht etwa reiten mit deiner Verletzung?“
„Doch genau das habe ich vor, schließlich brauch ich zum Westernreiten nur eine Hand und außerdem ist Eclipse seit 3 Tagen nicht mehr geritten worden.“, erklärte sie.
„Aber was ist wenn du stürzt oder dich verreitest? Du kennst dich hier nicht aus.“
„Na dann komm mit und zeig mir ein wenig die Gegend. Und falls ich stürzen sollte, was selten vorkommt, kannst du mich ja wieder retten.“ Sie schaute mich schmunzelnd und gleichzeitig fragend an. Ihre Entscheidung stand also und durch ihren Sturkopf, den sie scheinbar hatte, konnte ich sie auch nicht mehr davon abbringen. Also half ich hier mit dem Sattel und sagte zu sie zu begleiten.
„Brauchst du noch Hilfe beim fertig machen?“, fragte ich als wir wieder an der Boxentür standen.
„Nein, danke ich schaff das schon, mach ich schließlich nicht zum ersten Mal“, sagte sie spitz. Ich hob abwehren die Hände und lief wieder in die Sattelkammer, um mir die Sachen von Twilight zu holen. Schnell war mein Schimmelwallach sauber und gesattelt. Ich schaute rüber in Eclipses Box. Bella hatte sie schon getrenst und wollte nun nach dem Sattel greifen. Innerhalb einer Sekunde war ich an der Box und griff nach dem Sattel.
„Meinst du nicht, dass ich das machen sollte, die Teile können selbst mit zwei Händen schwer sein.“, sagte ich schelmisch.
„Ähm…ja, danke.“, gab sie leise wieder und ihre Wangen färbten sich zartrosa. Ich lächelte leicht und legte den Sattel vorsichtig auf den Rücken der dunkelbraunen Stute. Sie tänzelte ein wenig zur Seite, doch die sanften Worte von Bella beruhigten sie wieder und sie ließ sich ohne weitere Probleme satteln.
Ein paar Minuten später führten wir unsere Pferde nach draußen. Ich band Twilight an den Putzplatz um Bella beim Aufsitzen zu helfen. Sie hatte sich ihren schwarzen Westernhut aufgesetzt und saß ein paar Sekunden später im Sattel und nahm die Zügel in eine Hand. So wie sie da auf ihrem Pferd saß, sah sie unglaublich aus. Elegant und im perfekten Westernstil. Ich durfte gar nicht daran denken wie es aussähe wenn sie englisch ritt. Das würde sicher noch eine Spur besser und heißer aussehen. Schnell schüttelte ich diesen Gedanken ab und ging hinüber zu meinem Wallach, band ihn los, nahm die schwarzen Lederzügel in die linke Hand, setzte den linken Fuß in den Bügen und schwang mich locker auf seinen Rücken. Ich sah zu Bella hinüber und traf auf ihre endlos tiefen, rehbraunen Augen. Ich musste leicht schmunzeln bei ihrem Anblick.
„Atmen, Bella!“, sagte ich um sie aus ihrer Starre zu holen. Sie sah schnell weg und errötete wieder, was mich noch mehr zum Schmunzeln brachte.
Ich legte leicht meine Schenkel an den Bauch meines Pferdes und schon setzte er sich in Bewegung. Auch Bella gab Eclipse das Signal zum Schritt und war kurz nachdem wir den Hof Richtung Wald verließen, neben mir. Ich schaute kurz zu ihr hinüber. Sie saß ganz entspannt im Sattel. Man sah ihr gar nicht an, dass sie eigentlich im englischen Stil ritt. Sie überraschte mich immer wieder. Es wunderte mich auch, dass ihr anscheinend die natürliche Schau fehlte, mit der uns die Menschen begegneten. Sie zeigte bisher keinerlei Angst oder Unbehagen. Na ja, also entweder war sie unheimlich furchtlos und hatte keinen Selbsterhaltungstrieb oder sie war zu naiv und die Gefahr zu erkennen. Aber so wollte ich nicht von ihr denken. Zwar war ich zuerst abgeneigt sie auf dem Hof und vielleicht sogar im Team zu haben, aber ich hatte nun mal meine Vorurteile, die dazu da waren um sie zu widerlegen und genau das tat Bella gerade. Eigentlich hatte ich nie geplant sie so sehr in meine Nähe zu lassen, doch irgendetwas faszinierte mich an ihr. Es war nicht nur die Stille ihrer Gedanken oder ihr unbeschreiblich, berauschender Duft. Nein, da war noch etwas anderes, etwas, was ich noch nicht benennen konnte.
Nach einiger Zeit, in der wir still nebeneinander geritten waren, kamen wir an eine Gabelung im Wald. Ich schlug ohne nachzudenken den rechten Weg ein und Bella folgte mir.
„Wo reiten wir eigentlich hin?“, fragte sie. Mich wunderte, dass sie das nicht schon früher gefragt hatte.
„Ich habe vor ein paar Monaten ein hübsches Plätzchen gefunden.“, antwortete ich ihr.
„Aha und was soll das für ein Plätzchen sein?“
„Wirst du gleich sehen“, gab ich zurück und drückte meine Schenkel etwas an Twilights Bauch und prompt setzte er zum Trab an.
„Hey, warte!“, rief Bella mir hinterher und galoppierte kurz an um wieder zu mir aufzuschließen. Ich lachte leise auf, trabte aber weiter ohne auf sie zu achten. Still trabten wir weiter. Keiner wusste im Moment was er sagen sollte. Aber es war auch keine unangenehme Ruhe. Bella schaute immer wieder nach links und rechts in den dichten Wald und dann wieder nach vorne. Sie versuchte sich wohl den Weg zu merken.
Ich sah ein paar Meter vor uns einen dünnen Baumstamm liegen und dachte erst daran einfach zu springen, aber dann fiel mir Bellas Verletzung wieder ein und ich wollte kein Risiko eingehen, falls sie auf die grandiose Idee käme mir zu folgen. Ich fand es schon nicht gut, dass sie überhaupt auf einem Pferd saß, aber springen würde zu weit gehen und das auch noch mit Westernsattel. Aber kaum hatte ich diesen Gedanken zu Ende gedacht galoppierte Eclipse mit Bella an mir vorbei, direkt auf den Baumstamm zu. Nein, sie würde doch wohl nicht… doch sie würde und sie tat es auch. Leichtfüßig galoppierte die dunkelbraune Stute auf das Naturhindernis zu und setzte zum Sprung an. Ich konnte fast nicht hinsehen, doch zu meiner Erleichterung schaffte sie den Sprung ohne Bekanntschaft mit dem Boden zu machen. Ich musste mich kurz sammeln und ließ auch Twilight angaloppieren. Mit Leichtigkeit überwanden wir den kleinen Baumstamm und folgten Bella, die noch ein Stück weiter geritten war. Als ich näher kam, sah ich ihr strahlendes Gesicht.
„Das war echt super, ich bin schon so lange nicht mehr im Gelände gewesen. Das Gefühl über dem Sprung war der Wahnsinn.“, plapperte sie begeistert los. Sie ließ ein melodisches Lachen hören und steckte mich mit an. Die Stimmung zwischen uns war nun etwas gelöster. Wir ritten weiter und plauderten nebenbei über Gott und die Welt. Die meiste Zeit fragte ich sie über ihre Kindheit aus. Ich erfuhr, dass sie mit 5 Jahren anfing zu reiten und schon immer auf Turnieren starten und sich mit anderen messen wollte. Sie erzählte mir von dem Kauf von Eclipse, sie meinte es wäre Liebe auf den ersten Blick gewesen. Das konnte ich nur zu gut verstehen, Eclipse war eine wunderschöne Stute.
Als wir kurz vor dem Ziel waren, bat ich Bella die Augen zu schließen und mir die Zügel zu geben. Etwas verwirrt schaute sie mich an, ließ sich aber darauf ein und gab mir die Zügel. Ich führte Eclipse auf eine große, mit Blumen übersäte Lichtung. Sie befand sich mitten im Wald und war nur zu Fuß oder mit dem Pferd zu erreichen.
„Du kannst die Augen wieder öffnen.“, sagte ich leise. Bella schlug langsam ihre Augen auf und ein leises Keuchen kam aus ihrem Mund. Sie überblickte mit großen Augen die gesamte Lichtung. Ich beobachtete ihre Reaktion, tausende Emotionen konnte ich in ihrem Gesicht ablesen. Wenn schon ihre Gedanken stumm waren, so konnte ich in ihrem Gesicht wie in einem offenen Buch lesen. Unglaube, Faszination und Überwältigung, das waren die stärksten Ausdrücke. Doch ich fand auch eine Spur Traurigkeit. Was hatte das zu bedeuten?
Ihr Mund öffnete sich leicht und schloss sich gleich wieder. Sie war sprachlos. Ich führte sie noch ein Stück weiter zur Mitte und stieg dann ab. Twilight ließ ich einfach stehen, er würde dort bleiben und höchstens seinen Kopf in dem saftigen Gras versenken. Bella betrachtet immer noch ehrfürchtig diesen wunderschönen Ort, als ich schon neben ihrem Pferd stand und ihr die Hand bot, damit sie absteigen konnte. Wie in Trance ließ sich Bella von mir vom Pferd helfen.
„Wow.“ Das war das einzige was sie im Moment leise hervorbrachte. Ich lächelte und zog sie etwas von den Pferden weg. Ich ließ mich in das trockene Gras fallen. Bella ging noch ein paar Schritt und strich schon fast zärtlich über die blauen Blumen, welche diesen Ort eine mystische Atmosphäre gaben. Ich ließ sie nicht eine Sekunde aus den Augen. Sie hatte immer noch nicht wirklich etwas gesagt, es verunsicherte mich. War es falsch sie hierher zu bringen? Ich dachte ihr würde es hier gefallen. Sie hatte mir die ganze Zeit den Rücken zugedreht, doch nun drehte sie sich zu mir um. Meine Sorge stieg noch weiter als ich die Tränen in ihren Augen sah.
Was war los mit ihr?
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