Samstag, 16. Januar 2010

5. Kapitel Offen wie ein Buch

Edward POV



Es sollte heute nicht einer dieser üblichen Schultage werden. Langweilig bis zum-geht-nicht-mehr. Immer dasselbe Schema. Immer dieselben Leute. Immer dieselben, primitiven Gedanken. Nein, heute war etwas anders und ich wusste auch ohne Gedanken lesen zu können, was es war.

Bella.

Es kam nicht oft an dieser Schule vor, dass neue Schüler kamen. Und dann auch noch so Hübsche. Das wussten die hormongesteuerten Jungen hier natürlich noch nicht, aber ihre Fantasie formte ein Mädchen nach ihren Wunschvorstellungen. Absurd, keiner kam auch nur in die Nähe des Originals.

Kopfschüttelnd setzte ich meinen Weg Richtung Chemieraum fort. Ich kam durch einen der schmaleren Flure und schon von weitem konnte ich das Stimmengewirr vernehmen. Etwas abseits des Geschehens lehnte ich mich lässig an eine Wand und beobachtete das kindische Treiben im Flur. Einige der pubertierenden Jungen hatten wieder mal ihre Hormone nicht im Griff und stritten sich um ein Mädchen. Einer war mal ihr Exfreund, wollte aber noch was von ihr. Der nächste war auch in sie verknallt und der dritte war ihr Schwarm und die beiden anderen waren eifersüchtig auf ihn. Ich bekam wirklich viel mit, wenn ich mich mal auf die Gedanken einließ. Oh man, die hatten echt lächerliche Probleme. Aber es waren nur Menschen. Ich stieß mich von der Wand ab und wollte schon gehen, als ich einen dumpfen Schlag und ein metallisches Klappern vernahm.

Die raufenden Jungen zogen die Aufmerksamkeit der gesamten Schüler auf sich, doch mein Blick wurde von dem Mädchen auf dem Boden vor den Schließfächern angezogen. Ich schaute mich kurz um, aber sie schien wirklich niemand zu beachten. Plötzlich hatte ich einen unglaublich süßen Duft in der Nase. Ich sah zu dem Mädchen, sie war verletzt, ich roch deutlich ihr Blut. Das Monster in mir wollte heraus, doch mein Verstand war noch zu stark… noch. Aber ich konnte nicht anders, ich musste zu ihr, irgendwas war an ihr was mich anzog. Je näher ich ihr kam, desto intensiver wurde ihr Geruch. Er war unwiderstehlich. Mein Gott, was tat ich hier, ich brachte nicht nur sie in Gefahr sondern auch alle anderen, die hier im Gang waren und vor allem meine Familie. Ich musste mich unter allen Umständen zusammenreißen und durfte meinem inneren Monster nicht nachgeben. Als ich direkt vor dem Mädchen stand, erkannte ich sie.

Bella. Sie hatte die Augen geschlossen und verzog vor Schmerz das Gesicht. Ihre eine Hand hielt ihre Schulter, sie schien verletzt zu sein. Ich legte ihr behutsam eine Hand auf die andere Schulter. Ich wollte sie nicht erschrecken, dennoch fuhr sie zusammen und riss die Augen auf. Offenbar hatte sie starke Schmerzen, gequält stöhnte sie auf.

„Hey Bella, ist alles in Ordnung? Hast du dich verletzt?“, fragte ich sie sanft. Langsam schüttelte sie den Kopf.

„Nein, nichts ist in Ordnung. Meine Schulter schmerzt höllisch und mir ist tierisch schwindelig.“, gab sie leise als Antwort. Sie sah wirklich sehr blass aus. Noch blasser als sonst, sie könnte mir Konkurrenz machen.

Immer noch presste sie ihre Hand auf ihre Schulter. Ich half ihr beim Aufstehen und brachte sie ins Krankenzimmer. Sie presste ihren zierlichen Körper ganz fest an meinen. Bisher war sie mir nur einmal so nahe, doch jetzt nahm ich ihren intensiven, blumigen und süßen Duft noch intensiver wahr. Nie hatte ich etwas Vergleichbares gerochen. Automatisch stellte ich das Atmen ein. Im Krankenzimmer angekommen, setzte ich Bella auf einem Stuhl ab und ging zur Krankenschwester. Kurze Zeit später konnte ich Bella in den Nebenraum bringen.

Sie saß auf einer dieser Krankenhausliegen, die Ärztin vor ihr wollte ihr gerade die Hand von der verletzten Schulter ziehen, als Bella protestierte. Wie unvernünftig konnte sie eigentlich sein? Sie musste doch diese Verletzung behandeln lassen, bevor es zu Entzündungen oder Schlimmeren kam. Ich fragte Mrs. Crane ob ich es einmal versuchen durfte. Sie trat beiseite und ich stellte mich vor Bella. Langsam ließ ich meine Hand ihren Arm hinauf wandern und sah ihr dabei tief in die Augen. Ich wusste von der Wirkung meiner Augenfarbe auf die Menschen und hoffte, dass es bei Bella nicht anders war. Ich machte mir in Moment auch keine Gedanken über die Temperatur meiner Hand und wie Bella darauf reagieren könnte. Meine Hand erreichte ihre Schulter und ich zog die ihre langsam weg.

Aus einem, für mich immer noch unerfindlichen Grund hatte ich genau in diesem Moment Luft geholt, als ihre Hand die Wunde verließ. Dann traf mich der Schlag. Ich konnte förmlich spüren, wie meine Augenfarbe sich von golden zu schwarz verdunkelte, mein Gift schoss mir in den Mund und jeder einzelne meiner Muskeln spannte sich zum Zerreißen. Ihr Blut war mehr als nur verlockend, es zog mich fast magisch an. So sehr hatte ich in meinen ganzen Jahrzehnten als Vampir noch nie auf Menschenblut reagiert. Es war ein überwältigender Duft und wenn ich nicht wollte, dass es hier gleich zwei leergesaugte Frauen gab, sollte ich schleunigst verschwinden. Ich bekam noch mit wie Bella kurz die Augen schloss. Ich nutzte diese Situation um zu gehen, bevor mein inneres Monster die Oberhand gewann. Schnell sagte ich Dr. Crane, dass ich noch etwas vergessen hätte, dann stürmte ich durch die Tür, ohne ihr eine Chance für weitere Fragen zu geben.

Ich lief in schneller, menschlicher Geschwindigkeit nach draußen auf den Parkplatz. Alles was ich jetzt benötigte, war klare und saubere Luft. Kurz überlegte ich in den angrenzenden Wald zu gehen um ein paar Tiere zu jagen. Doch ich entschied mich dagegen, als ich Bella ein paar Minuten später in der Cafeteria sitzen sah. Ich beobachtete sie von draußen. Sie sah immer noch so blass aus. Dennoch schien es ihr soweit gut zu gehen. Ich beschloss ihr etwas Gesellschaft zu leisten, ich war ihr schließlich noch eine Erklärung für mein plötzliches Verschwinden schuldig.

Leise betrat ich die Cafeteria, blieb allerdings am Eingang stehen. Außer Bella und mir war niemand hier, immerhin war noch Unterricht, aber das war mir herzlich egal. Ich bemerkte erst jetzt wie still es hier war. Sonst hatte ich immer irgendwelche Gedanken im Kopf oder musste unfreiwillig Gespräche anderer mit anhören. Doch hier war absolute Ruhe. Ich lehnte mich an die Wand direkt neben der großen Flügeltür und versuchte Bellas Gedanken aufzuschnappen, aber da war rein gar nichts. Bella saß in der hintersten Ecke des Saals und hatte ein Buch in der Hand. Theoretisch müsste ich in ihren Gedanken mitlesen können.

Stille. Nichts als Stille um sie herum. Frustriert gab ich jeden weiteren Versuch auf. Das Buch, welches sie las, sah schon sehr abgegriffen aus, nur schwer konnte ich den Titel entziffern, trotz meiner sehr guten Augen. Es war „Sturmhöhe“. Interessant, nicht viele Teenager ihres Alters lasen solche Klassiker. Ich stand sehr lange unbewegt an der Wand und beobachtete sie. Bella schien mich gar nicht zu bemerken, so sehr war sie in ihr Werk vertieft. Ich beschloss sie nun doch aus ihrer Bücherwelt zu holen, die nächste Stunde begann in wenigen Minuten.

Ich ging langsam auf sie zu. Als sie mich nicht mal bemerkte als ich direkt vor ihr stand, zog ich ihr das Buch aus den Händen. Erschrocken fuhr sie zusammen und presste ihre Hand auf ihr viel zu schnell schlagendes Herz. So eine Reaktion hatte ich nicht erwartet, sie war tiefer in ihrem Buch versunken, als ich dachte. Diese Tatsache ließ mich amüsiert lächeln.

„Na wie geht’s dir, alles wieder gut?“, fragte ich sie, um ein Gespräch zu beginnen.

Ihr Herz hatte sich noch nicht ganz beruhigt, es schlug noch immer nicht im Rhythmus.

„Du tauchst auch immer aus dem Nichts auf, oder!?“, stellte sie eine Gegenfrage und hatte einen anklagenden Blick drauf, welcher mich noch mehr grinsen ließ.

„Du hast meine Frage nicht beantwortet.“, erinnerte ich sie, ohne selbst auf ihre Frage einzugehen.

„Danke es geht wieder.“, gab sie knapp als Antwort. „Aber was machst du hier, hast du nicht Unterricht? Bist du deswegen vorhin einfach gegangen?“, fragte sie weiter. Also hatte sie doch nicht vergessen, dass ich ohne Erklärung abgehauen war. Wie praktisch, sie servierte mir die Antwort auf dem Silbertablett.

„Bella hast du schon mal auf die Uhr geguckt? Gleich fängt die vierte Stunde schon an. Und ja ich musste gehen, ich hatte schließlich Unterricht“, schmunzelte ich.

Erschrocken stellte sie fest, dass ich Recht hatte. Schnell packte sie ihre Sachen zusammen und vergaß offensichtlich ihre Schiene. Ihr Gesicht verzog sich vor Schmerz und sofort machte ich mir wieder Sorgen. Einen Moment dachte ich über meine eigenen Gedanken nach. Wieso lag mir soviel an ihrem Wohl und warum reagierte ich so stark auf ihr Blut? Auch jetzt ließ es mich nicht völlig kalt, bei allen anderen Menschen machte mir der Blutgeruch überhaupt nichts aus. Meine Selbstbeherrschung war fast so groß wie die von Carlisle und das wollte schon etwas heißen.

Ich beendete meine Gedankengänge nach einer Sekunde, Bella hatte nichts davon mitbekommen.

Schnell griff ich nach ihrem Rucksack, bevor sie es tat. Wer wusste schon, was ihr wieder passierte, wenn sie ihn schwungvoll über die Schulter geworfen hätte. Dass sie sich dabei noch mehr verletzte, konnte ich mir sehr gut vorstellen, bei ihrem Glück.

Ich fragte sie dann wo sie jetzt Unterricht hatte. Musik war ihr nächstes Fach. Super, meines auch. Also gingen wir zusammen durch die langen Flure in Richtung Musiksaal.

Bella sah mehr als beeindruckt aus, als wir durch die große Flügeltür traten. Es war auch kein gewöhnlicher Klassenraum mit einer Tafel, Tischen, Stühlen und ein paar Musikinstrumenten. Wenn man hier herein kam, könnte man denken, man wäre im Theater gelandet. Wir hatten eine schöne, großflächige Bühne. Auf ihr standen ein paar Kulissen herum. Ein dicker, weinroter Vorhang trennte die Bühne vom Zuschauerraum. Dort saßen schon einige unserer Mitschüler. Ich führte Bella zu den Sitzen in der ersten Reihe. Kurz nachdem wir saßen, kam auch schon Mr. Mclachlan in gewohnter, zerstreuter Manier in den Saal getänzelt. Es war immer wieder amüsant zu sehen, wie er durch die Gegend rannte, ohne ersichtlichen Plan. Doch das täuschte, er war der bestorganisierte Mensch, den ich je kennen gelernt hatte. Und er hatte wie jedes Jahr wieder ein prallgefülltes Programm für dieses Schuljahr. Ich erzählte Bella leise, wie das in Musik bei uns lief und was wir die letzten Jahre schon so fabriziert hatten. Sie war ein wenig erstaunt, als ich ihr erzählte, dass ich bei unserer Talentshow Klavier gespielt hatte. Wieder musste ich leicht schmunzeln. ‚Ja, kleine Bella, ich stecke voller Geheimnisse und dass ich Klavier spiele, ist noch gar nichts.’

Als Mr. Mclachlan endlich seine ausgesuchten Musicals vorstellte und die Abstimmung lief, wurde mein Grinsen immer breiter. Am Ende hatte sich der Kurs für das Stück `Tanz der Vampire´ entschieden. ‚Welch Ironie.’, dachte ich mir.

Einige Minuten später ging eine Liste herum. Wir sollten uns für unsere Wunschrolle oder einer Aufgabe hinter der Bühne eintragen. Kurz überlegte ich mich für eine Rolle, vielleicht sogar die Hauptrolle einzutragen, aber ich entschied mich dann doch dagegen. Zu viel Aufsehen wollte ich nun auch nicht. Also setzte ich meinen Namen in die Spalte für die Musikgestaltung und reichte die Liste an Bella weiter. Ich kannte sie noch nicht lange genug um einschätzen zu können, wo sie sich eintragen würde, aber ich sah sie nicht in der Hauptrolle, sie strahlte dafür noch zu viel Schüchternheit aus. Doch in Sachen Schüchternheit sollte ich mich bei Bella noch ganz gewaltig täuschen.

Nachdem wir Musik hinter uns gebracht und alle weiteren Termine erhalten hatten, verstreuten sich alle Schüler auf dem Flur. Bella hatte jetzt, wie ich auch, Biologie.

Mr. Banner setzte sie auf den einzigen freien Platz im Raum… welcher neben mir war. Die ganze Stunde beobachtete ich sie aus dem Augenwinkel und wenn ich dies nicht tat sah ich sie direkt an und wir unterhielten uns leise. Sie wollte am Nachmittag auf den Hof kommen und ihre Stute versorgen. Ich bot an, ihr unsere Pferde und den Rest des Hofes zu zeigen. Sie nahm dankend an und von da an verlief der Rest der Stunde ruhig und ich konnte sie wieder von der Seite betrachten. Ihre sanften Gesichtszüge wurden fast vollständig von ihren mahagonifarbenen Locken verdeckt. Die Augen hatte sie aufmerksam nach vorne gerichtet und ihre Hand malte unbewusst kleine Kringel auf ihren Block. Aber am intensivsten nahm ich immer noch ihren Duft wahr. Er war immer da. Mal stärker, wenn sie sich bewegte oder mit mir sprach, mal schwächer. Aber vergessen werde ich diesen verlockenden, blumigen Geruch nie wieder. Dabei hatte ich mich vor ihrer Ankunft hier in Forks so sehr gegen sie gewehrt, doch da wusste ich ja nicht was mich erwartete. Immer diese Vorurteile, ich sollte damit aufhören alles zu bewerten, bevor ich mich nicht vom möglichen Gegenteil überzeugt hatte.

Nach Bio hatten wir Schluss, ich schulterte wieder Bellas Rucksack ehe sie es tat und bot ihr noch an sie mit nach Hause zu nehmen, da wir ja fast Nachbarn waren, doch sie war selber mit ihrem Wagen hier. Auf dem Parkplatz hielt ich kurz inne, so kurz, dass es niemand mitbekam. Sie hatte einen schicken Schlitten. Klar, dass ich das sagte, ich hatte fast denselben. Sie fuhr einen bronzefarbenen Volvo XC90. Meiner war schwarz. Nach den Klassikern, die sie, wie ich auch, gerne las und der Reiterei, eine weitere Gemeinsamkeit.

Sie schloss ihn auf und drehte sich dann zu mir um ihren Rucksack entgegen zu nehmen.

„Wir sehen uns also nachher?“, fragte ich sie und musste beim Anblick ihrer wunderschönen, tiefbraunen Augen wieder lächeln.

„Ja sicher, ich werde da sein.“, antwortete sie. Dann stieg sie in ihren Wagen und startete den Motor. Als sie vom Parkplatz fuhr, winkte sie noch einmal.

Mit einem Lächeln auf den Lippen ging ich auf mein Auto zu, wo schon Alice auf mich wartete. Die anderen hatten noch Unterricht und würden mit Emmetts Jeep nach Hause kommen.

„Dir scheint diese Isabella ja zu gefallen“, meinte Alice. Vergeblich versuchte sie ein Grinsen zu unterdrücken. Ich lächelte sich nur charmant an. Ein Gentleman schweigt und genießt. So hieß es doch oder etwa nicht!? Also stieg ich schweigend ein. Meine kleine Schwester schlüpfte auf den Beifahrersitz und ich rauschte vom Schulgelände. Auf der Landstraße gab ich Vollgas, das brauchte ich jetzt einfach um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Zu ihrem Glück hielt Alice ausnahmsweise mal ihren vorlauten Mund. Ich war sowieso viel zu sehr in meinen Gedanken, als dass ich es bemerkt hätte, wenn sie was wollte.

Zu Hause angekommen, sprang Alice sofort aus meinem Wagen. Sie rief mir noch ein ‚Viel Spaß heute Nachmittag’ zu und war dann verschwunden.

Kopfschüttelnd stieg ich nun auch aus und ging erstmal ins Haus um Esme zu begrüßen.

„Hey Mom.“, sagte ich in normaler Lautstärke. Egal, wo sie in der Villa war, sie würde mich hören.

„Hallo mein Junge.“ Sie kam die Treppe herunter, umarmte mich und gab mir einen Kuss auf die Wange. „Was hast du nachher noch vor?“, fragte sie nach meinen Plänen.

„Bella kommt nachher vorbei um nach ihrem Pferd zu sehen. Bei der Gelegenheit zeige ich ihr ein wenig den Hof und werde sie ein bisschen ausfragen. Mal sehn ob sie überhaupt in unser Team passt.“ Ich unterhielt mich noch eine Weile mit ihr über meine Nachmittagsplanung und verschwand dann nach draußen auf den Hof.

Als erstes musste ich nach meinem Twilight sehen, das war schon eine Art Ritual. Wenn ich aus der Schule kam, ging mein erster Weg, nach Esme, meist dort hin. Mein Pferd bedeutete mir alles, er war mein Freund und Partner im Sport. Zusammen waren wir unschlagbar. Twilight war mein ein und alles, schon als er erst einen Tag alt war, zogen mich seine tiefschwarzen, klugen Augen magisch an. Als Fohlen war er noch schwarz wie die Nacht und wäre er so geblieben, hätte ich nun den schönsten Rappen den die Welt je gesehen hätte, doch als Jährling bekam sein Fell hellere Flecken und nun mit fünf war er der schönste Apfelschimmel. Er war einfach eine Augenweide.

„Einen Dollar für deine Gedanken.“

Erschrocken fuhr ich innerlich zusammen. Oh Gott wann hatte ich mich das letzte Mal so erschrocken, das kam äußerst selten bei mir vor, da sich die meisten schon durch ihre Gedanken ankündigten. Doch bei Bella war wieder nur diese verdammte Stille.

Ich drehte mich zu ihr und lehnte mich lässig an die Boxentür. Unauffällig betrachtete ich sie von oben bis unten, sie war auf jeden Fall stalltauglicher gekleidet, als am Tag ihrer Ankunft. Ihre Reithose lag eng an ihren schlanken Beinen. Über einem schlichen Top hatte sie eine karierte Bluse gezogen und ihre Füße steckten in modischen Reitstiefeln. Sie hatte doch wohl nicht vor mit ihrer verletzten Schulter reiten zu wollen. Na davon würde ich sie schon abzuhalten wissen. Nur über meine Leiche, stieg sie heute auf ein Pferd. Und bis ich eine Leiche war, verging noch eine geschätzte Ewigkeit.

„Hey, ich hatte dich jetzt noch gar nicht erwartet.“, sagte ich, nachdem ich mich von ihrem Körper losreißen konnte.

„Ich hatte Sehnsucht.“, gab sie schlicht wieder. Wie jetzt, Sehnsucht?

„Ich musste unbedingt zu meiner Süßen.“, setzte sie hinzu. „Und ich wollte mir die anderen Pferde gerne ansehen, wenn ich darf.“

Ich hatte mich mittlerweile auch wieder gefangen.

„Na sicher darfst du, komm mit ich zeig dir alles.“

„Ok, danke dir. Also fangen wir doch gleich hier an. Wer ist dieses Prachtstück hinter dir.“, fragte sie und deutete über meine Schulter in die Box.

„Das ist Twilight. Er ist mein Wallach, mit ihm reite ich die Vielseitigkeitsturniere.“

„Der ist echt schick. Wie alt ist er denn?“

„Er ist jetzt fünf, aber schon ein ganz Großer.“, antwortete ich ihr stolz.

Ich zeigte ihr noch Emmetts Breaking Dawn, Rosalies New Moon und Jaspers Eternity, welche auch mit Twilight und Eclipse in Stall standen. Wir hatten noch einen zweiten Stall, dort standen unsere Zuchtpferde, drei Hengste und sieben Stuten mit ihren Fohlen. Daneben befanden sich das große Dressurviereck und ein etwas kleinerer Springplatz mit 14 verschiedenen Hindernissen. Wir hatten auf unserem Gelände auch eine 5 km lange Geländestrecke zum Trainieren. Nachdem wir alles besichtig hatten, lief sie wieder in den Stall. Am Ende des Komplexes war die großräumige Sattelkammer. Jeder Sattel, jede Trense und jeder andere Gegenstand hatte hier seinen angestammten Platz und war beschriftet. Auch Bellas Ausrüstung hatte schon ihren Platz gefunden. Zielsicher griff sie nach ihrem Putzkasten und brachte ihn vor die Box ihrer Stute. Dann lief sie an mir vorbei zurück in die Sattelkammer und holte Gamaschen und eine Westerntrense. Die Trense hängte sie über die dafür vorgesehene Halterung neben der Box und die Gamaschen schmiss sie in die Putzbox. Sie lief nun zum wiederholten Mal an mir vorbei. Ich höre sie leise stöhnen und ging langsam in die Sattelkammer. Dort lehnte ich mich mit vor der Brust verschränkten Armen in den Türrahmen und beobachtete skeptisch ihren Versuch ihren schweren Westernsattel vom Sattelbock zu hieven.

„Was hast du vor, Bella?“, fragte ich leicht irritiert. Sie wollte doch nicht wirklich reiten mit ihrer verletzten Schulter?

„Na wonach sieht es denn aus?“, stellte sie genervt die Gegenfrage.

„Du willst doch nicht etwa reiten mit deiner Verletzung?“

„Doch genau das habe ich vor, schließlich brauch ich zum Westernreiten nur eine Hand und außerdem ist Eclipse seit 3 Tagen nicht mehr geritten worden.“, erklärte sie.

„Aber was ist wenn du stürzt oder dich verreitest? Du kennst dich hier nicht aus.“

„Na dann komm mit und zeig mir ein wenig die Gegend. Und falls ich stürzen sollte, was selten vorkommt, kannst du mich ja wieder retten.“ Sie schaute mich schmunzelnd und gleichzeitig fragend an. Ihre Entscheidung stand also und durch ihren Sturkopf, den sie scheinbar hatte, konnte ich sie auch nicht mehr davon abbringen. Also half ich hier mit dem Sattel und sagte zu sie zu begleiten.

„Brauchst du noch Hilfe beim fertig machen?“, fragte ich als wir wieder an der Boxentür standen.

„Nein, danke ich schaff das schon, mach ich schließlich nicht zum ersten Mal“, sagte sie spitz. Ich hob abwehren die Hände und lief wieder in die Sattelkammer, um mir die Sachen von Twilight zu holen. Schnell war mein Schimmelwallach sauber und gesattelt. Ich schaute rüber in Eclipses Box. Bella hatte sie schon getrenst und wollte nun nach dem Sattel greifen. Innerhalb einer Sekunde war ich an der Box und griff nach dem Sattel.

„Meinst du nicht, dass ich das machen sollte, die Teile können selbst mit zwei Händen schwer sein.“, sagte ich schelmisch.

„Ähm…ja, danke.“, gab sie leise wieder und ihre Wangen färbten sich zartrosa. Ich lächelte leicht und legte den Sattel vorsichtig auf den Rücken der dunkelbraunen Stute. Sie tänzelte ein wenig zur Seite, doch die sanften Worte von Bella beruhigten sie wieder und sie ließ sich ohne weitere Probleme satteln.

Ein paar Minuten später führten wir unsere Pferde nach draußen. Ich band Twilight an den Putzplatz um Bella beim Aufsitzen zu helfen. Sie hatte sich ihren schwarzen Westernhut aufgesetzt und saß ein paar Sekunden später im Sattel und nahm die Zügel in eine Hand. So wie sie da auf ihrem Pferd saß, sah sie unglaublich aus. Elegant und im perfekten Westernstil. Ich durfte gar nicht daran denken wie es aussähe wenn sie englisch ritt. Das würde sicher noch eine Spur besser und heißer aussehen. Schnell schüttelte ich diesen Gedanken ab und ging hinüber zu meinem Wallach, band ihn los, nahm die schwarzen Lederzügel in die linke Hand, setzte den linken Fuß in den Bügen und schwang mich locker auf seinen Rücken. Ich sah zu Bella hinüber und traf auf ihre endlos tiefen, rehbraunen Augen. Ich musste leicht schmunzeln bei ihrem Anblick.

„Atmen, Bella!“, sagte ich um sie aus ihrer Starre zu holen. Sie sah schnell weg und errötete wieder, was mich noch mehr zum Schmunzeln brachte.

Ich legte leicht meine Schenkel an den Bauch meines Pferdes und schon setzte er sich in Bewegung. Auch Bella gab Eclipse das Signal zum Schritt und war kurz nachdem wir den Hof Richtung Wald verließen, neben mir. Ich schaute kurz zu ihr hinüber. Sie saß ganz entspannt im Sattel. Man sah ihr gar nicht an, dass sie eigentlich im englischen Stil ritt. Sie überraschte mich immer wieder. Es wunderte mich auch, dass ihr anscheinend die natürliche Schau fehlte, mit der uns die Menschen begegneten. Sie zeigte bisher keinerlei Angst oder Unbehagen. Na ja, also entweder war sie unheimlich furchtlos und hatte keinen Selbsterhaltungstrieb oder sie war zu naiv und die Gefahr zu erkennen. Aber so wollte ich nicht von ihr denken. Zwar war ich zuerst abgeneigt sie auf dem Hof und vielleicht sogar im Team zu haben, aber ich hatte nun mal meine Vorurteile, die dazu da waren um sie zu widerlegen und genau das tat Bella gerade. Eigentlich hatte ich nie geplant sie so sehr in meine Nähe zu lassen, doch irgendetwas faszinierte mich an ihr. Es war nicht nur die Stille ihrer Gedanken oder ihr unbeschreiblich, berauschender Duft. Nein, da war noch etwas anderes, etwas, was ich noch nicht benennen konnte.
Nach einiger Zeit, in der wir still nebeneinander geritten waren, kamen wir an eine Gabelung im Wald. Ich schlug ohne nachzudenken den rechten Weg ein und Bella folgte mir.

„Wo reiten wir eigentlich hin?“, fragte sie. Mich wunderte, dass sie das nicht schon früher gefragt hatte.

„Ich habe vor ein paar Monaten ein hübsches Plätzchen gefunden.“, antwortete ich ihr.

„Aha und was soll das für ein Plätzchen sein?“

„Wirst du gleich sehen“, gab ich zurück und drückte meine Schenkel etwas an Twilights Bauch und prompt setzte er zum Trab an.

„Hey, warte!“, rief Bella mir hinterher und galoppierte kurz an um wieder zu mir aufzuschließen. Ich lachte leise auf, trabte aber weiter ohne auf sie zu achten. Still trabten wir weiter. Keiner wusste im Moment was er sagen sollte. Aber es war auch keine unangenehme Ruhe. Bella schaute immer wieder nach links und rechts in den dichten Wald und dann wieder nach vorne. Sie versuchte sich wohl den Weg zu merken.

Ich sah ein paar Meter vor uns einen dünnen Baumstamm liegen und dachte erst daran einfach zu springen, aber dann fiel mir Bellas Verletzung wieder ein und ich wollte kein Risiko eingehen, falls sie auf die grandiose Idee käme mir zu folgen. Ich fand es schon nicht gut, dass sie überhaupt auf einem Pferd saß, aber springen würde zu weit gehen und das auch noch mit Westernsattel. Aber kaum hatte ich diesen Gedanken zu Ende gedacht galoppierte Eclipse mit Bella an mir vorbei, direkt auf den Baumstamm zu. Nein, sie würde doch wohl nicht… doch sie würde und sie tat es auch. Leichtfüßig galoppierte die dunkelbraune Stute auf das Naturhindernis zu und setzte zum Sprung an. Ich konnte fast nicht hinsehen, doch zu meiner Erleichterung schaffte sie den Sprung ohne Bekanntschaft mit dem Boden zu machen. Ich musste mich kurz sammeln und ließ auch Twilight angaloppieren. Mit Leichtigkeit überwanden wir den kleinen Baumstamm und folgten Bella, die noch ein Stück weiter geritten war. Als ich näher kam, sah ich ihr strahlendes Gesicht.

„Das war echt super, ich bin schon so lange nicht mehr im Gelände gewesen. Das Gefühl über dem Sprung war der Wahnsinn.“, plapperte sie begeistert los. Sie ließ ein melodisches Lachen hören und steckte mich mit an. Die Stimmung zwischen uns war nun etwas gelöster. Wir ritten weiter und plauderten nebenbei über Gott und die Welt. Die meiste Zeit fragte ich sie über ihre Kindheit aus. Ich erfuhr, dass sie mit 5 Jahren anfing zu reiten und schon immer auf Turnieren starten und sich mit anderen messen wollte. Sie erzählte mir von dem Kauf von Eclipse, sie meinte es wäre Liebe auf den ersten Blick gewesen. Das konnte ich nur zu gut verstehen, Eclipse war eine wunderschöne Stute.

Als wir kurz vor dem Ziel waren, bat ich Bella die Augen zu schließen und mir die Zügel zu geben. Etwas verwirrt schaute sie mich an, ließ sich aber darauf ein und gab mir die Zügel. Ich führte Eclipse auf eine große, mit Blumen übersäte Lichtung. Sie befand sich mitten im Wald und war nur zu Fuß oder mit dem Pferd zu erreichen.

„Du kannst die Augen wieder öffnen.“, sagte ich leise. Bella schlug langsam ihre Augen auf und ein leises Keuchen kam aus ihrem Mund. Sie überblickte mit großen Augen die gesamte Lichtung. Ich beobachtete ihre Reaktion, tausende Emotionen konnte ich in ihrem Gesicht ablesen. Wenn schon ihre Gedanken stumm waren, so konnte ich in ihrem Gesicht wie in einem offenen Buch lesen. Unglaube, Faszination und Überwältigung, das waren die stärksten Ausdrücke. Doch ich fand auch eine Spur Traurigkeit. Was hatte das zu bedeuten?

Ihr Mund öffnete sich leicht und schloss sich gleich wieder. Sie war sprachlos. Ich führte sie noch ein Stück weiter zur Mitte und stieg dann ab. Twilight ließ ich einfach stehen, er würde dort bleiben und höchstens seinen Kopf in dem saftigen Gras versenken. Bella betrachtet immer noch ehrfürchtig diesen wunderschönen Ort, als ich schon neben ihrem Pferd stand und ihr die Hand bot, damit sie absteigen konnte. Wie in Trance ließ sich Bella von mir vom Pferd helfen.

„Wow.“ Das war das einzige was sie im Moment leise hervorbrachte. Ich lächelte und zog sie etwas von den Pferden weg. Ich ließ mich in das trockene Gras fallen. Bella ging noch ein paar Schritt und strich schon fast zärtlich über die blauen Blumen, welche diesen Ort eine mystische Atmosphäre gaben. Ich ließ sie nicht eine Sekunde aus den Augen. Sie hatte immer noch nicht wirklich etwas gesagt, es verunsicherte mich. War es falsch sie hierher zu bringen? Ich dachte ihr würde es hier gefallen. Sie hatte mir die ganze Zeit den Rücken zugedreht, doch nun drehte sie sich zu mir um. Meine Sorge stieg noch weiter als ich die Tränen in ihren Augen sah.


Was war los mit ihr?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen