Montag, 25. Januar 2010

6. Kapitel Stimme aus der Vergangenheit

Bella POV

„Das fürchterlichste Mittel gegen quälende Gedanken ist die Zerstreuung: Sie führt zur Gedankenlosigkeit.” - Franz Grillparzer

Sanft spürte ich die schaukelnden Bewegungen meiner Stute. Ich hatte meine Augen, so wie Edward es wollte, geschlossen und ihm die Zügel überlassen. Auf einmal hatte ich einen frischen, süßen Geruch in der Nase. Es roch nach Wald und dazu noch intensiv nach Blumen. Edward sagte ich könnte nun meine Augen wieder öffnen. Blinzend öffnete ich diese und als ich sah wo ich mich befand, traf mich der Schlag und meine Gefühle gerieten völlig durcheinander. Wir standen mitten auf einer großen und fast perfekt runden Lichtung. Uns umgab eine Wand von dunkelgrünen Bäumen, die Wiese war auch tiefgrün und blauviolette Waldveileichen sprenkelten den Boden. Leichte Nebelschwaden schwebten bedächtig am Rand der Lichtung und vereinzelte Lichtkegel der Sonne verliehen diesem Ort eine mystische und romantische Atmosphäre - könnte man meinen. Ich war überwältigt. Meine Gefühle drohten auszubrechen, nur mit Mühe konnte ich meine Maske aufrechterhalten. Ich wollte nicht, dass Edward etwas merkte. Das ging ihn absolut nichts an, das ging niemanden etwas an.

Edward tauchte auf einmal neben mir auf und hielt mir seine Hand entgegen. Ich ließ mir von Pferd helfen. Meine Beine waren ganz wackelig, als sie den Boden berührten. Er hielt immer noch meine Hand und führte mich weiter in die Mitte, wo er sich auf den Boden fallen ließ und mir andeutete mich auch zu setzen. Ich jedoch ging noch ein paar Schritte weiter. Ich fühlte mich wie in die Vergangenheit versetzt. Sämtliche Erinnerungen tauchten vor meinem inneren Auge auf und schütteten wieder Salz in die nie verheilten Wunden. Andächtig strich ich zart über das kniehohe Gras und betrachtete die Veilchen. Es sah genauso aus wie damals. Ich sah wie zwei kleine Mädchen über eine Wiese mit blauen Blumen tobten. Sie lachten und hatten eine Menge Spaß. Die beiden braunhaarigen Kinder liefen auf die andere Seite der Lichtung. Ich folgte meiner Illusion. Sie setzten sich ins Gras und begannen aus den Blumen hübsche Kränze zu flechten. Ihre weiten Röcke hatten sich wie ein runder Schirm um sie ausgebreitet. Die dunkelbraunen, lockigen Haare fielen ihnen über die Schultern. Als beide fertig waren, setzten sie sich gegenseitig die Kränze auf den Kopf und sie lächelten einander an.

„Bella?“ Ich hörte eine Stimme, leise und gedämpft, als würde ich Watte in den Ohren haben. „Hey, Bella alles in Ordnung?“ Wieder diese samtene Stimme, diesmal etwas deutlicher. Die Szene vor mir verwandelte sich, die beiden Mädchen verschwammen langsam und das besorgte Gesicht von Edward tauchte vor mir auf. Ich starrte ihn an, ohne an irgendetwas zu denken. Meine Gedanken waren wie weggefegt. In meinem Inneren war wieder diese Leere, die ich seit Jahren versuchte zu verschließen. Ich versuchte krampfhaft zu vergessen, dass meine zweite Hälfte unwiderruflich von mir gerissen wurde und nun schmerzhaft fehlte.

„Bella!“ Ich spürte eine kalte Hand an meiner Wange. Erschrocken erstarrte ich und wich dann etwas zurück. Nur langsam kam ich wieder in die Gegenwart. Ich bemerkte die feuchte Spur an meinen Wangen und hob hastig meine Hand um sie wegzuwischen. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich angefangen hatte zu weinen. Doch meine Tränen ließen sich nicht stoppen, ich zitterte leicht. Ich verschränkte meine Arme vor der Brust und versuchte so wieder du Kontrolle über meinen Körper und meine Emotionen zu bekommen. Edward trat einen Schritt auf mich zu und legte sanft seine starken Arme um mich und drückte mich an sich. Ich spürte seine harte Brust an der ich meinen Kopf anlehnte. Er fuhr mit seiner Hand tröstend meinen Rücken auf und ab. Ich spürte seine kalte Hand selbst durch mein Top und meine Bluse. Ich klammerte mich nun fest an sein Hemd und ließ meinen Gefühlen freien Lauf.

Hemmungslos schluchzte ich und meine Tränen rannen in Wasserfällen an meinen Wangen herab. Mein ganzer Körper zitterte heftig unter meinen Weinkrämpfen. Ich konnte es nicht mehr aufhalten, zu lange hatte ich diese Gefühle unterdrückt und sie fest verschlossen, doch nun, als ich diesen Ort sah, brach es heraus und übermannte mich. Edward ließ mich weinen, sagte nichts, denn es gab nichts was mich hätte trösten können. Er war einfach nur da und hielt mich in seiner Umarmung. Ich fühlte mich hier merkwürdig geborgen und beschützt. Ich drückte mich weiter an ihn. Eine Hand streichelte mir immer noch über den Rücken die andere hatte er in meinen Haaren vergraben. Nur langsam beruhigte ich mich wieder, meine Tränen versiegten und das Schluchzen wurde leiser, bevor es ganz verschwand. Ich löste mich etwas von ihm, schaute ihm kurz in die Augen und senkte bei seinem besorgten Ausdruck sofort meinen Blick. Plötzlich war es mir furchtbar peinlich so sehr die Beherrschung verloren zu haben. Wir kannten uns kaum und ich brach vor seinen Augen so zusammen. Schnell wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht und atmete einmal tief durch.

„Entschuldige.“ Meine Stimme war rau und kehlig vom Weinen. „Ich… ich weiß nicht was… was los war. Tut mir…“ Weiter kam ich mit meinem Entschuldigungsversuch nicht. Edward hatte mich sanft aber bestimmt unterbrochen.
„Bella dir muss gar nichts Leid tun. Mir tut es Leid, ich hätte dich nicht hierher bringen sollen. Ich wusste nicht…“ Diesmal ließ ich ihn nicht aussprechen.
„Edward, du konntest es nicht wissen. Gib dir bitte nicht die Schuld, es wäre falsch.“, flüsterte ich.
„Ist alles wieder gut?“, fragte er dann. Ich nickte nur leicht.
„Können wir zurück? Ich… ich muss mich noch auf das Vorsingen vorbereiten.“ Meine Stimme war immer noch etwas rau, aber ich hatte mich wieder beruhigt.
„Sicher. Lass uns zurück.“, sagte er nur und half mir wieder auf mein Pferd.
Ich blickte noch einmal zurück, bevor wir hinter der Baumgrenze in den Wald eintauchten. Der Weg zurück war still. Edward schien tief in seinen Gedanken versunken zu sein. Ich war froh, dass er mich nicht wegen des Vorfalls ausfragte. Ich konnte nicht darüber reden, ich kannte ihn doch kaum. Aber ich hatte auch niemand anderen mit dem ich reden könnte. Ich musste mit dieser Sache alleine klar kommen.

Nach etwa einer viertel Stunde kamen wir wieder auf dem Hof an. Die Pferde wurden abgesattelt und versorgt. Ich hatte mich verabschiedet und war auf dem Weg nach Hause. Ich schloss die Tür auf, streifte meine dreckigen Stiefel ab und ging dann in die Küche um mir ein Sandwich zu machen um dann ein wenig fernzusehen. Ich hatte keine Lust jetzt für das Vorsingen zu üben, das Lied welches ich singen würde, konnte ich auswendig. Ich ließ mich im leeren Wohnzimmer auf das Sofa fallen, schaltete den Fernseher ein und zappte lustlos durch die Kanäle. Im Haus herrschte die gewohnte Stille. Meine Eltern waren wie immer den ganzen Tag auf Arbeit, von morgens bis abends. Das war aber schon immer so, auch als… Ich schüttelte schnell meinen Kopf um den aufkommenden Gedanken wieder los zu werden. Für gewöhnlich vertrieb ich mir die Zeit nach der Schule auf dem Reiterhof, aber da ich mit meiner verletzten Schulter nicht wirklich was machen konnte, fiel das auch aus. Ansonsten hatte ich in Chicago dreimal in der Woche Gesangs- und Klavierunterricht gehabt oder mich mit meinen Freunden getroffen. Hier, am Ende der Welt, war nichts los. Und es war wirklich am Ende der Welt. Nur einen Schritt raus aus den dichten Wäldern von Forks und man fiel von der Welt.
Nach einer Weile stieg ich die Treppen hoch und verbrachte den Abend in meinem Zimmer. Leise Klaviermusik klang an meinen Boxen, als ich unten die Haustür zuschlagen hörte. Mein Vater war also wieder da. Meine Vermutung bestätigte sich zusätzlich durch sein Gebrüll.

„Isabella, wo zum Teufel steckst du?“
Ich seufzte schwer, schloss kurz meine Augen um mich zu sammeln und ging dann nach unten in die Küche.
„Hallo Dad. Wie war dein erster Arbeitstag?“, fragte ich ihn ohne wirkliches Interesse.
„Ja ja gut. Wieso hast du nichts zum Abendbrot gemacht? Du sitzt doch den ganzen Tag zu Hause rum und bekommst nicht einmal das fertig? Was kannst du eigentlich richtig? Interessierst dich nur für deinen Gaul und wir, deine Mutter und ich, schuften tagtäglich um dir was bieten zu können und wie dankst du uns? Hm?“, wütete Charlie. Seine Worte verletzten mich zutiefst und ich hatte Mühe die aufsteigenden Tränen herunterzuschlucken. Ohne etwas zu sagen und mit gesenktem Kopf ging ich zum Kühlschrank und nahm die fertigen Sandwiches heraus. Ich befreite diese in aller Seelenruhe von der Frischhaltefolie und knallte sie vor meinem Vater auf den Tisch.
„Guten Appetit, Dad“, sagte ich kalt. ‚Hoffentlich erstickst du dran.’, fügte ich in Gedanken hinzu und rannte wieder in mein Zimmer.

Ich schmiss mich aufs Bett und versuchte weiterhin die Tränen zu verdrängen. Er verdiente es nicht um ihn zu weinen, es gab wichtigere Menschen in meinem Leben, die es verdienten um sie zu weinen. Aber auch das erlaubte ich mir jetzt nicht, einmal hatte ich heute schon die Kontrolle verloren.

Ich holte mir von meinem Schreibtisch meinen Laptop und schaltete ihn ein. Ich wollte die Mails von meinen Freunden aus Chicago endlich beantworten und ein wenig mit meiner besten Freundin über Skyp telefonieren. Jill war einfach die beste Freundin, die man sich wünschen konnte. Wir trafen uns neben der Schule fast täglich. Sie hatte auch eine Stute und wir ritten im gleichen Team, im ‚Tres flores de lis’ –Juniorteam. Sie berichtete mir gerade von einer neuen Internetseite, einem Forum für Vielseitigkeitsreiter, wo auch nur eingetragene Turnierreiter hineinkamen. Ich klickte die Seite an und gab bei der Anmeldung meine Reiternummer ein. Schon war ich online. Sorgfältig erarbeitete ich mir ein ansehnliches Profil mit ein paar Fotos von mir, Eclipse und uns beiden im Gelände. In meiner Beschreibung stellte ich mich kurz vor und machte noch einige Einstellungen, bevor ich mich auf die Seite der Forenübersicht stürzte. Ich entdeckte ein Forum namens Chicago, Illinois und weiter unten stand Seattle, Washington. Ein Forum von Forks direkt gab es nicht und da Seattle der nächstgelegene Ort war klickte ich diesen und zusätzlich noch den aus Chicago an. Im Chicagochat waren alle Nicknamen meiner ehemaligen Teamkollegen. Jill hatte sie mir durchgegeben und so wusste ich wer anwesend war. Doch im Moment interessierte mich der andere Chatraum mehr. Während ich die Namen durchging, unterhielt ich mich weiterhin mit Jill. Sie fragte mich über mein Leben in Forks und die Schule aus.

„Und?“, fragte sie auf einmal.
„Was und?“
„Na hast du schon einen süßen Typen aufgerissen?“
„Oh mein Gott Jill, wie kommst du denn da drauf?“ Meine Freundin nahm wirklich nie ein Blatt vor den Mund.
„Ach komm schon Bella. In Chicago sind dir auch alle Typen sabbernd hinterher gelaufen. Also, ist da jemand?“, fragte sie weiter. Ich überlegte kurz und prompt schob sich das schiefe Grinsen von Edward in meine Gedanken. Unwillkürlich musste ich lächeln.
„Nun ja…“, fing ich an. „Vielleicht ist da jemand den ich mag, aber ich glaube nicht…“, weiter kam ich nicht, denn das tinituserzeugende Quietschen aus meinem Headset unterbrach mich lautstark.
„Oh my god, Bella ist verliebt. Wie heißt er? Wie sieht er aus? Wie alt ist er? Hast du ihn schon geküsst?“, ratterte sie ihre Fragen runter.
„Stopp, stopp. Nun mach mal halblang. Ich bin mal gerade drei Tage hier, falls du das schon vergessen hast.“, sagte ich schmunzelnd.
„Okay, also erzähl schon.“, forderte sie. Typisch Jill, sie wollte immer alles wissen, was mit Jungs zusammen hing.
„Er heißt Edward Cullen und geht in meine Klassenstufe. Er wohnt mit seinen vier Geschwistern und seinen Eltern auf dem Hof, wo ich Eclipse untergestellt habe.“, fing ich an zu erzählen.
„Woah… Moment. Er reitet?“, fragte sie erstaunt.
„Ja. Auch Vielseitigkeit. Ich war heute Nachmittag mit ihm im Gelände…“ Ich stockte bei der Erinnerung an die Lichtung, denn auch Jill wusste nichts von meinen Gefühlen, das alles passierte vor unserem Kennenlernen.
„Man, hast du ein Glück. Dann siehst du ihn ja auch noch jeden Tag, das ist doch perfekt. Beschreib ihn mal!“, plapperte sie weiter. Ich atmete tief durch.
„Er ist groß, muskulös, aber nicht zu sehr. Ziemlich blass und er hat bezaubernde bronzefarbene Haare, die ihm wild vom Kopf abstehen. Seine Augen haben eine merkwürdige Farbe. Ich würde fast sagen sie sind golden oder karamellfarben. Hast du so was schon mal gesehen? Also ich nicht.“ Seine Augen hatten mich vom ersten Moment an gefesselt, sie waren wirklich etwas besonderes, genauso wie seine ungewöhnlich blasse und kühle Haut.
„Hm, nein das ist mir auch noch nicht untergekommen. Aber so wie du ihn beschreibst muss er ja ein Traumtyp sein. Bleib bloß dran!“, meinte sie.
„Du bist lustig. Ihm rennen alle Mädchen der Schule hinterher.“, widersprach ich. ‚Was auch nicht verwunderlich ist, bei dem Aussehen.’, dachte ich mir.
„Und außerdem will er sicher nichts von so einem unscheinbaren Mädchen wie mir.“, stellte ich klar. Doch kaum hatte ich das ausgesprochen, hörte ich das empörte Schnauben am anderen Ende der Leitung.
„Bella.“, sagte Jill streng. „Jetzt hör mir mal ganz genau zu.“, wetterte sie weiter, doch ab da besaß sie meine Aufmerksamkeit nicht mehr wirklich. Ein kleines, blinkendes Kästen am unteren, rechten Rand meines Bildschirms erregte mein vollstes Interesse.

Hi Bella, na hast auch hier ins Forum gefunden?

Das stand in dem Kästchen und darüber der Name. E20A06C01. Das war ein äußerst merkwürdiger Nick, vor allem wer war das und woher kannte dieser jemand meinen Namen? Okay, er war in meinem Nick eingebaut, aber das war Zufall. Ich öffnete das Privatgespräch und schrieb einfach mal zurück.

Bella buio: Hi, ja meine Freundin hat mich drauf aufmerksam gemacht. Aber bevor wir weiter schreiben, würde ich doch gerne wissen mit wem ich mich unterhalte.


E20A06C01: Oh, ja Sorry. ;) Ich bins Edward. :)


Bella buio: Hey, Edward. :) Woher weißt du, dass ich hinter dem Namen stecke? Ich meine nur weil da Bella steht, muss das ja nicht Ich sein.


E20A06C01: Schon richtig. Aber Bella buio ist auch italienisch und heißt ‚Schöne Dunkelheit’ oder ‚Wunderschöne Finsternis’ auf Deutsch und auf Englisch Eclipse… darauf wolltest du sicher hinaus bei der Namenswahl, oder irre ich mich da?

Er war wirklich clever, genauso war es.

Bella buio: Ja richtig, das hing wirklich mit Eclipse zusammen. Nicht schlecht. Und was hat es mit deiner Buchstaben- und Zahlenkombination auf sich?


E20A06C01: Das ist ganz einfach. Die Buchstaben sind meine Initialen Edward Anthony Cullen und die Zahlen sind ein Datum 20.Juni 2001, da hatte ich mein erstes Turnier und der 20.06. ist auch gleichzeitig mein Geburtstag. ;)


Bella buio: Ach so, ja das leuchtet ein.


E20A06C01: Wie geht es deiner Schulter?


Bella buio: Geht so, muss bis Donnerstag noch diese Schiene tragen. Ist nur ne leichte Prellung und ne Schürfwunde. Danke der Nachfrage.

„HEY BELLA.“, brüllte jemand in mein Ohr. Vor lauter Schreck wäre ich fast von meinem Bett gefallen. Wer schreit mir denn hier so ins Ohr? Verwirrt schaute ich mich in meinem Zimmer um, aber ich war alleine.
„BELLA. Hallo? Bist du noch da?“ Die Stimme von Jill drang aus dem Kopfhörer in mein Ohr. Mist, ich hatte sie völlig vergessen.
„Ähh, ja Jill ich bin noch da. Sorry hattest du was gesagt?“, fragte ich kleinlaut.
„Mensch Bella, wo bist du mit deinen Gedanken gewesen? Du hast schon seit knapp fünf Minuten nicht mehr reagiert. Was ist denn los?“, fragte sie besorgt.
„Nichts alles okay. Ich war nur gerade in Gedanken. Du Jill, nimm es mir bitte nicht übel aber ich werd so langsam ins Bett gehen. Der Tag war anstrengend. Wir telefonieren am Wochenende länger, okay?“, versuchte ich sie zu beschwichtigen.
„Ja, alles klar. Bis dann und gibt nicht auf bei Edward.“
„Jaja, gute Nacht. Hab dich lieb und grüß alle ganz lieb von mir. Byebye.“
„Hab dich auch lieb, Süße. Bye“
Ich kappte die Verbindung und nahm das Headset ab. Dann bemerkte ich wieder das Blinken am Bildschirmrand. Schnell öffnete ich das Fenster und sah dass Edward wieder geschrieben hatte.

E20A06C01: Das freut mich zu hören. Nicht auszudenken, was wir ohne unsere vierte Reiterin machen würden. ;) Ach noch was, Jasper fragte ob du einen Trainer hast oder ob er dich in Dressur und Springen unterrichten soll. Ich gebe dir einen Tipp, er ist spitzenklasse. ;)

Jetzt war ich echt sprachlos. Ich war im Team? Aber wie konnte er das so einfach entscheiden, keiner hatte mich wirklich reiten sehen, außer er bei unserem Ausritt. Okay, meine Turnierergebnisse waren konstant gut, aber konnte er das so entscheiden?

Bella buio: Wie jetzt vierte Reiterin, ihr habt mich doch noch gar nicht reiten sehen, wie könnt ihr mich da schon ins Team aufnehmen??? Also nicht, dass ich es nicht möchte, sonst hätte ich mich schließlich nicht darum beworben… Aber wenn das so ist, nehme ich das Angebot von Jasper gerne an und lass mich von ihm trainieren, wenn er mich denn aushält. ;)


E20A06C01: Na klar bist du im Team. Als ich dich im Gelände gesehen hab, war ich überzeugt, dass du die richtige bist. Okay, Jasper wird sich sicher freuen, mal jemand anderen zu trainieren, als nur uns. Und nein, es macht ihm sicher nichts aus, er kommt mit jeder Persönlichkeit klar, glaube mir. :)


Bella buio: Na gut, wenn du das sagst, wird es wohl stimmen. So ich werde mich dann langsam bettfertig machen, ich bin ziemlich müde heute. Wir sehen uns sicher morgen. Gute Nacht. Bye.

E20A06C01: Alles klar, dann bis morgen. Gute Nacht, schlaf schön und Sogni d'oro!

Ich lächelte leicht und trennte dann die Internetverbindung, bevor ich meinen Laptop ausschaltete. Nachdem ich noch einmal in der Küche war und den Geschirrspüler angestellt hatte und feststellte, dass meine Mom immer noch nicht zu Hause war, ging ich ins Bett und war auch schnell im Land der Träume.

Am nächsten Morgen verließ ich ziemlich gehetzt das Haus und stoppte abrupt auf der Veranda. Am Straßenrand stand Edward mit in den Taschen vergrabenen Händen und seinem schiefen Grinsen im Gesicht, an sein Auto gelehnt. Verwundert ging ich auf ihn zu.
„Guten Morgen, dormigliona.“, begrüßte mich Edward lächelnd.
„Wie hast du mich gerade genannt?“, fragte ich gespielt böse und zog eine Augenbraue hoch.
Dormigliona. Das heißt Schlafmütze auf Italienisch.“
„Ja, das weiß ich auch, aber warum nennst du mich so?“ Ich stemmte, als ich genau vor ihm stand, die Hände in meine Hüften und schaute provokant zu ihm hoch.
„Hm… du kannst doch sicher die Uhr schon oder?“ neckte er mich. „Dann weißt du sicher auch wie spät es schon ist.“, stichelte er weiter. „Und da dem so ist, würde ich dir raten endlich einzusteigen, damit wir los können. Ich wollte eigentlich nicht zu spät zum Unterricht kommen.“, schloss er seinen Monolog, öffnete die Beifahrertür und deutete mir an einzusteigen. Ich stieg ein, er schloss die Tür und ließ sich elegant auf den Fahrersitz gleiten.
„Und wie komm ich zu der Ehre, dass du mich abholst? Ich meine, ich hab auch ein eigenes Auto und du würdest jetzt nicht zu spät kommen.“
„Ich konnte dich zwar gestern nicht von Reiten abhalten, aber ich werde dich heute vom Auto fahren abhalten. Mit deiner Schiene ist das sicher nicht so leicht und wir wollen doch keinen Autounfall verursachen, oder?“, fragte er und wurde zum Schluss immer ernster. Ihn schien wirklich was an meinem Wohl zu liegen. Mit einem Lächeln im Gesicht versank ich etwas tiefer in seinen Ledersitzen und ließ mich von ihm zur Schule kutschieren.

Die Stunden vergingen an diesem Tag viel zu schnell und ich wurde immer nervöser. Heute Nachmittag sollte das Vorsingen für das Musical stattfinden. Ich wurde äußerlich immer stiller, redete kaum ein Wort und starrte tief in Gedanken versunken Löcher in die Luft, doch in meinem Inneren tobten die verschiedensten Gefühle wild herum. Ich hatte mir ein spezielles und für mich ganz besonderes Lied ausgesucht. Ich hatte es seit diesem schrecklichen Tag nie wieder gesungen. Es tat einfach zu sehr weh. Doch nun wollte ich es versuchen, ich musste mich langsam meinen Gefühlen stellen und das Lied sollte der Anfang sein.

Ich war gerade auf dem Weg zur Cafeteria, als hinter mir jemand meinen Namen rief. Ich drehte mich um und entdeckte Angela, welche auf mich zu gerannt kam und keuchend vor mir stehen blieb.
„Hi Angela. Warum rennst du denn so? Ich lauf doch nicht weg.“, sagte ich, amüsiert zu ihr blickend.
„Ach nein? Und wo warst du gestern? Ich dachte wir wollten zusammen Mittag essen?“, fragte sie vorwurfsvoll. Mist, ich hatte sie nach meinem kleinen Unfall einfach vergessen. Entschuldigend schaute ich ihr in die Augen.
„Tut mir wirklich Leid, Angela. Ich hab gestern unfreiwillig Bekanntschaft mit den Schließfächern und der Krankenschwester gemacht. Ich habe es vergessen, sorry.“, sagte ich aufrichtig.
„Schon okay. Wollen wir dann jetzt zusammen essen und du erzählst mir was mit dir passiert ist?“, fragte Angela.

Ich nickte ihr lächelnd zu und wir gingen dann in die Cafeteria. Ich nahm mir nur einen kleinen Salat, mehr würde ich bei meiner Nervosität sicher nicht runter bekommen und setzte mich dann mit Angela an einen freien Tisch am Fenster. Nachdem ich Angela jedes noch so kleine Detail über den Unfall erzählt hatte, starrte ich durch das Fenster zum wolkenverhangenen Himmel und ließ meinen Gedanken freien Lauf.

„Hey Sognatrice. Es klingelt gleich, wir sollten uns auf den Weg zum Musiksaal machen.“, flüsterte Edward mir leise ins Ohr. Eine leichte Gänsehaut überzog meinen Hals, als sein kühler Atem meine Haut traf. Ich drehte meinen Kopf leicht und seine Richtung und sah in zwei belustigt blitzende Augen. Nach meiner anfänglichen Verwirrung, drang das Gesagte zu mir durch. Musiksaal. Vorsingen. Verdammt. Ich begann augenblicklich auf meiner Unterlippe zu kauen und hätte bei dem Versuch mich zu erheben fast Bekanntschaft mit dem Boden gemacht. Doch vorher hatten mich zwei starke Arme davor bewahrt. Ich zitterte mittlerweile wie Espenlaub und biss mir die Lippe fast blutig.

„Bella? Alles in Ordnung?“, fragte Edward besorgt. Moment, besorgt? Warum war er immer so besorgt um mich? War er bei jedem so? Na gut, darüber würde ich mir später Gedanken machen. Ich sollte Edward vielleicht noch auf seine Frage antworten, bevor er mich noch für gestört erklärt.
„Ähm, nein alles in bester Ordnung.“, kam es piepsig aus meinem Mund und sofort war meine Unterlippe wieder zwischen meinen Zähnen gefangen.
„Sag mal Bella bist du nervös?“
„Nein, wie kommst du denn bloß darauf?“, fragte ich sarkastisch und befreite mich aus seinen Armen.
„Ach nur so, du kaust ununterbrochen auf deiner Lippe, ein Wunder, dass du noch nicht verblutest. Hinzu kommen deine schwitzigen Hände und dein Herz…“ Mitten im Satz wurde er durch die Klingel unterbrochen. Aufgescheucht durch dieses Zeichen hetzen wir Richtung Musiksaal. Mein Herz schlug immer schneller und ich hatte wirklich extrem schwitzige Hände. Meine Atmung hatte ich fast nicht mehr unter Kontrolle. Wenn jetzt keine Wunder geschah, würde ich entweder ne Panikattacke erleiden oder in Ohnmacht fallen.

„Was ist denn mit dir los, Bella? Bist du immer so verdammt nervös wegen nichts?“, fragte Edward nun irritiert.
„Wieso wegen nichts? Ich hab heute ein Vorsingen, bin dazu noch neu an der Schule und wer weiß wie ich danach behandelt werde.“, blaffte ich ihn an. Den wahren Grund erwähnte ich natürlich mit keinem Wort, das ging schließlich nur mich etwas an.
„Ach komm. Du machst dir doch deswegen nicht wirklich Sorgen?“, fragte er weiter. Nein, deswegen machte ich mir wirklich keine Sorgen, jedenfalls nicht vordergründig. Doch ich wusste nicht wie ich reagierte, wenn ich auf der Bühne stand und diesen Song vor der halben Klasse sang und meine Gefühle dabei verrückt spielten. Das war es, was mich fertig machte.

Doch bevor ich ihm etwas erwidern konnte, betrat Mr. Mclachlan den Saal und bat um Ruhe. Zunächst erklärte er uns den groben Ablaufplan für die Proben und was er dann sagte, ließ mich fast vom Stuhl fallen. Er meinte er hätte heute noch eine wichtige Konferenz und müsse früher Schluss machen, also wollte er sich heute nur die Leute anhören, die ein Instrument spielten und das Vorsingen wurde auf den nächsten Tag verschoben. Wie sollte ich das Ganze morgen noch mal durch stehen? Ich war jetzt schon so kurz vor dem Ausflippen, bis morgen hatte ich mich sicher nicht beruhigt. Auch wenn ich im Moment erleichtert war, morgen würden diese Gefühle mich wieder einholen.

„Also Herrschaften, lasst uns anfangen. Ich möchte diejenigen hören, die sich für das Orchester eingetragen haben, sucht euch eure Instrumente und dann geht’s los.“, tönte die Stimme unseres Musiklehrers durch den Saal.
„Ich werde mir dann mal schnell das Klavier sichern.“, flüsterte Edward und grinste spitzbübisch, bevor er zu dem schwarzen Flügel auf dem Podest ging. Er ließ sich elegant auf dem Hocker nieder und strich beinahe ehrfürchtig über die Elfenbeintasten. In seinen Augen meinte ich ein verträumtes Glitzern erkennen zu können und das bezaubernde Lächeln, welches seine Lippen zierte, bestätigte diese Annahme.
Langsam drückte er die Tasten und erzeugte somit eine sanfte, mir unbekannte Melodie. Leider wurde er ziemlich schnell unterbrochen, da Mclachlan anfangen wollte die einzelnen Schüler anzuhören. Nach dem wir mehr oder weniger talentierte Schüler mit ihren Instrumenten angehört hatten, war Edward an der Reihe, er saß die ganze Zeit still, fast unbewegt auf dem Klavierhocker und drehte sich nun zu den Tasten.

„Mr. Cullen, was könnten sie uns denn präsentieren?“, fragte der Lehrer.
„Ich könnte unterschiedliche Sachen vorspielen, wie sie möchten, Mr. Mclachlan. Was langsames oder schnelleres…“, bot Edward an.
„Beginnen Sie bitte mit etwas langsamen!“, forderte Mr. Mclachlan und schon strichen Edwards Pianistenfinger sanft über die Tasten. Er spielte ein wunderschönes Stück, er lud zum Träumen ein und ich versank augenblicklich in der Melodie. Edward sah auch richtig zufrieden aus, er hatte die Augenlider halb geschlossen und seine Finger schwebten über die Tasten, schienen diese kaum zu berühren. Der ganze Saal war still, alles lauschte seinen wundervollen Klängen. Mr. Mclachlan fand als erster zu sich selbst.

„Mr. Cullen?“ Edward stoppte sofort das Stück. „Können Sie auch noch etwas schnelleres spielen?“, fragte er.
„Sicher, Mr. Mclachlan.“, sagte er und begann nun sehr kräftig und äußerst konzentriert die Tasten zu drücken. Seine Finger wanderten so schnell über das Elfenbein, dass man sie kaum sah. Wie konnte er nur so schnell und sogleich absolut fehlerfrei spielen? Er war wirklich ein Gott am Piano. Cribbio! Oh Gott, jetzt hatte er mich schon soweit, dass ich auf Italienisch dachte. Ich schüttelte leicht den Kopf und ließ mich wieder von der rasanten Melodie mitreißen. Dieses Mal ließ Mr. Mclachlan ihn zu Ende spielen und nachdem der letzte Ton verklungen war, brach tosender Applaus aus. Edward starrte immer noch auf die Tasten, anscheinend mochte er diese Aufmerksamkeit nicht. Aber was wollte er erwarten, wenn er so spielte als würde er der nächste Mozart sein. Seine Fingerfertigkeiten auf diesem Instrument waren einfach mozzafiato. Nein, nicht schon wieder.

Bevor Mr. Mclachlan auch nur einen Ton heraus bringen konnte, ertönte ein geschlossenes ‚Zugabe’ von den Mädchen aus den hinteren Reihen. Unser Lehrer blickte leicht irritiert zwischen den jubelnden Fans und Edward, am Flügel hin und her.
„Okay, meine Damen. Wenn Mr. Cullen noch ein Stück vorzuweisen hat.“, fragend blickte er Edward an.
„Ähm, ja sicher Sir. Ich hätte etwas selbst geschriebenes, es ist nur leider noch nicht fertig. Das Stück heißt ‚The Meadow’.“
„Na gut, fangen Sie an, Mr. Cullen.“, bat er.

Und er begann zu spielen und wie er spielte. Ich war hypnotisiert von diesem weichen und gefühlvollen Klang. Die Töne drangen an mein Ohr und ließen mich träumen. Diese zauberhafte Melodie ließ mich alles um mich herum vergessen. Ich befand mich plötzlich wieder auf der Lichtung, zu der Edward mich am Vortag geführt hatte. Das Grün der Wiese war noch leuchtender und die Farben der Veilchen noch glühender. Ich stand am Waldrand und sah zum zweiten Mal diese Szene mit den beiden Mädchen vor mir. Doch plötzlich verschwand die lockere und fröhliche Atmosphäre. Die beiden Kinder saßen auf einer karierten Decke. Der Kopf der einen lag im Schoß der anderen. Ihr wurde tröstend übers Haar gestrichen und leises Gemurmel durchbrach die Stille der Lichtung. Kaum hatte ich diese Szene überblickt, veränderte sie sich auch schon wieder. Auf einmal lag eine dunkle und bedrückende Stimmung über der Lichtung. Ich blickte in den wolkenverhangenen Himmel, er wurde immer dunkler und kurz darauf öffnete er seine Schleusen. Der Regen prasselte durch die Blätter auf die Lichtung. Dort, in der Mitte saß ein Mädchen, alleine, hatte die Knie angezogen und den Kopf darauf gestützt. Stetige Schluchzer schüttelten ihren zarten Körper und hallten an den Bäumen wieder. Doch bevor auch ich unter der Last der Gefühle einknicken konnte, riss die Melodie plötzlich ab und ich gelangte wieder zurück in die Gegenwart. Edward hatte sich umgedreht und beobachtete mich eindringlich.
Langsam stand er auf und kam auf mich zu.


Übersetzungen:

Tres flores de lis (span.) - Drei Lilien
Sogni d'oro! (ital.) - Träum süß!
dormigliona (ital.) - Schlafmütze
sognatrice (ital.) - Träumerin
cribbio (ital.) - wahnsinn, unglaublich
mozzafiato (ital.) - atemberaubend

Bellas Outfit

Edwards 1. Klavierstück
Edwards 2. Klavierstück
Edwards 3. Klavierstück

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